Bannerbild (Quelle: SWR – Screenshot aus der Sendung) (Foto: SWR – Screenshot aus der Sendung)

Gezeichnete Seelen

Blutige Tränen | Hintergrund

STAND
Autor/in
Stephanie Hügler

Selbstverletzung: Ein Pflaster für die Seele



Sich zu verletzen, um sich zu heilen – das scheint ein Widerspruch zu sein. Doch genau dies versuchen Jugendliche mit selbstverletzendem Verhalten (SVV). Körperliche Schmerzen sind dabei oft ein Hilfsmittel gegen seelische Wunden.


Nadeln (Foto: SWR/Mosaic Films – Screenshot aus der Sendung)
Blutige Tränen (Selbstverletzung) SWR/Mosaic Films – Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen
Selbstverletzung SWR/Mosaic Films – Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Was gilt als selbstverletzendes Verhalten?

Rund 4 bis 10% der 15- bis 16-Jährigen Jugendlichen in Europa verletzen sich selbst: Sie ritzen sich mit Rasierklingen oder Nadeln wie das erste Mädchen im Film, verbrühen oder verbrennen sich mit Zigarettenstummeln oder Bügeleisen wie eine zweite. Andere schlagen sich, stürzen sich die Treppe hinunter oder reißen Wunden immer wieder auf. Sozial akzeptierte Verletzungen wie Tätowierungen oder Piercings gelten hingegen nicht als SVV.

Woher kommt es?

Selbstverletzung ist oft eine Reaktion auf seelische Schmerzen oder Probleme. Einige Jugendliche mit SVV haben traumatische Erlebnisse hinter sich – wie Missbrauch, Vernachlässigung oder eine Trennung der Eltern. Wenn das Blut fließt, spüren die Betroffenen Ablenkung oder Erleichterung. Sie fühlen sich wieder lebendig wie die erste junge Frau im Film und vergessen ihre emotionalen Probleme wie eine andere. Diese Gefühle der Erleichterung sind nicht nur eingebildet, denn bei körperlichen Wunden schüttet der Körper Glückshormone (Endorphine) aus, die Schmerzen zunächst unterdrücken.

Wer ist betroffen?

Junge Menschen mit SVV sind oft wenig selbstbewusst, meiden Konflikte und haben Probleme in der Familie und mit Freunden. Häufig sind sie entweder sehr impulsiv mit schnellen Gefühlsausbrüchen oder haben – im anderem Extrem – kein Ventil für ihre Gefühle. Sie können z.B. nicht weinen, wie ein Mädchen im Film. Studien zufolge sind junge Frauen stärker gefährdet als junge Männer.

Wie erkennt man selbstverletzendes Verhalten?

Die meisten Jugendlichen mit SVV schämen sich dafür und versuchen es zu verbergen. Daher ist Selbstverletzung, wie viele andere psychische Krankheiten, meist nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Es gibt aber Warnzeichen. Wenn Jugendliche auch im Hochsommer langärmelige T-Shirts tragen oder Schwimmbäder meiden, wenn sie von Schlafstörungen oder Hoffnungslosigkeit berichten und sich sozial zurückziehen, sollten Eltern und Lehrer aufhorchen.

Was kann man tun?

Um Jugendlichen mit SVV die Scham zu nehmen, sollte man sie ansprechen, ohne sie zu kritisieren oder ihr Verhalten zu bewerten. SVV ist oft nur ein Symptom und hängt oft mit anderen Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen zusammen. Daher sollte eine Therapie diese Begleiterkrankungen mit behandeln. Wenn traumatische Erlebnisse für die SSV ursächlich sind, müsste eine therapeutische Verarbeitung des erlittenen Traumas erfolgen. Gute Resultate bringt oft die kognitive Verhaltenstherapie, die das positive Denken und das Selbstbewusstsein der Jugendlichen stärken kann. Auch Entspannungstechniken wie Yoga oder autogenes Training und Methoden zum Abbau von Aggressionen wie Sport oder ein Punchingball können helfen.

Bild eines Stück Stoffes und Nadeln. (Foto: SWR/Mosaic Films – Screenshot aus der Sendung)
Selbstverletzung SWR/Mosaic Films – Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen
SWR/Mosaic Films – Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Linkbox: Selbstverletzung (SVV)

Sich besser zu verstehen und gegenseitig zu helfen – das ist das vorrangige Ziel der Selbsthilfe-Website Rote Linien. Sie richtet sich vor allem an Familienmitglieder, Partner und Freunde sich selbst verletzender Menschen. Neben einem Forum finden Interessierte unter anderem Tipps zum Umgang mit den Betroffenen und einen Online-Test zu SVV.

In Geschichten und Gedichten schildern Jugendliche mit SVV auf dieser Webseite von Betroffenen für Betroffene ihre Erfahrungen. Link- und Buchtipps helfen, an Informationen zu kommen. Die Webseiten-Betreiber geben auch Hinweise, wie das selbstverletzende Verhalten überwunden werden kann. Die Webseite ist zwar schon etwas älter, das Forum ist aber immer noch aktiv.

Alle Themen zum Schwerpunkt Gezeichnete Seelen

Parallelwelten

Stimmengewirr, Flüstern, manchmal freundlich, manchmal bösartig. Gestörte Wahrnehmungen, kreisende Gedanken, Größenwahn, Verfolgungswahn. Das Kapitel zeigt, was es heißt, unter Psychosen zu leiden – oder wichtiger, was es eben nicht bedeutet: Es manifestiert sich nicht in einer „gespaltenen Persönlichkeit“. Es kann in ganz „normalen“ Menschen existieren und hat nicht zwangsweise zur Folge, dass Menschen, die hieran leiden, gewalttätig werden, oder unfähig in der realen Welt zu funktionieren.

Gezeichnete Seelen SWR Fernsehen

Die Sache mit der Glühbirne

Die Geschichte einer Frau, die wir „durchgeknallt“ nennen würden. Die in den höchsten Höhen der Euphorie segelt, ungeerdet und komplett enthemmt. Um dann – ohne Vorwarnung – umso tiefer abzustürzen. Ein Absturz in Verzweiflung und Sinnlosigkeit, in eine Depression, die die eben gelebte Euphorie mit einem Schlag tilgt. Sie lebt in der Welt der Manisch-depressiven. Gerade noch himmelhochjauchzend, dann zu Tode betrübt, sobald diese große Helligkeit in ihr, die Glühbirne, erloschen ist...

Gezeichnete Seelen SWR Fernsehen

Fisch am Haken

Michael leidet unter Panikattacken und Platzangst. Es fällt ihm oft schwer, das Haus zu verlassen. Er schildert in anschaulichen Details, wie lähmend seine Angstzustände sind. Und wir erfahren, wie selbst ein Gang in den Supermarkt zu einem schrecklichen Albtraum werden kann.

Gezeichnete Seelen SWR Fernsehen

Wahnsinnig zwanghaft

Jedes Mal, wenn Stefan an Saddam Hussein dachte, hatte er das Gefühl, er würde dadurch den Golfkrieg weiter anheizen. Gehen, Reden, Essen und Trinken – alle seine Handlungen musste er vollendet haben, ohne dabei an Saddam Hussein zu denken. Andernfalls ist er gezwungen, die Handlung zu wiederholen, wieder und wieder und wieder....
Ein kleiner Einblick in die existenziellen Kämpfe und Nöte derjenigen, die an Zwangsneurosen leiden.

Gezeichnete Seelen SWR Fernsehen

Unsichtbar werden

Brutale Albträume, Selbstmordgedanken und die Unfähigkeit, sich in der eigenen Haut wohl zu fühlen: Jenseits modischer „Size Zero“-Idole und Gruppendruck wird hier gezeigt, welch grausame Dynamik Essstörungen innewohnen kann. Nicole will nicht abnehmen, damit sie besser aussieht oder in kleinere Kleidergrößen passt. Sie fühlt sich alleine, unverstanden und von der übrigen Welt ausgeschlossen. Sie wurde extrem magersüchtig, weil sie „weniger Platz in der Welt einnehmen will“, weil sie unsichtbar werden und auf immer verschwinden will...

Gezeichnete Seelen SWR Fernsehen

Immer und immer (und immer) wieder ...

Eigentlich eine einfache, alltägliche Routine: der Schulweg. Doch für Daniel wird er zur albtraumhaften Herausforderung. Zahlen regieren seine Seele, seinen Verstand – bestimmen sein Verhalten, führen zu ungewollten Handlungen. Daniels Aussagen offenbaren uns die Kämpfe eines Teenagers der an Zwangsneurosen leidet.

Gezeichnete Seelen SWR Fernsehen

Ein Fremder auf dem Schulhof

Josh hat sie nie verstanden, die Spiele, die die anderen Kinder gespielt haben. Für ihn machten sie einfach keinen Sinn. Er blieb lieber alleine, wanderte entlang der Linien der Spielfelder auf dem Schulhof. Die Schulkameraden fanden ihn zunehmend „seltsam“ und fingen an, ihn zu hänseln. Jahr für Jahr wurde das schlimmer für ihn, fühlte er sich immer mehr überfordert von den vielen Regeln im Schulalltag und der Reizüberflutung. Und die Hänseleien wurden schlimmer. Zur Schule gehen: für Daniel ein Albtraum, oder mit seinen Worten „eine einzige Angst“!
Josh leidet unter dem Asperger-Syndrom, eine Form von Autismus, die ihm das Verstehen sozialer Regeln unmöglich macht.

Gezeichnete Seelen SWR Fernsehen

Blutige Tränen

Andrea, Luise und Nicole teilen eine blutige Erfahrung: Sie verletzen sich selbst auf unterschiedlichste und schmerzhafteste Art und Weise. Sie verbrennen sich mit Zigaretten oder glühendem Metall, sie ritzen ihre Haut mit Nadeln, schlagen mit dem Kopf gegen die Wand oder stürzen sich selbst die Treppe hinunter. Sie kämpfen damit gegen das Gefühl an, „unwirklich“ zu sein. Sie bekämpfen ihre Unfähigkeit, zu weinen und Gefühle auszudrücken. Ihre Aussagen schildern eindringlich den Impuls und die Motive für ihr Handeln. Wie der körperliche Schmerz sie scheinbar von den seelischen Schmerzen erlöst...

Gezeichnete Seelen SWR Fernsehen

STAND
Autor/in
Stephanie Hügler