Gegen Ende des 16. Jahrhunderts, im Zeitalter der Reformation, ist die Himmelskunde im Umbruch. Der Astronom Nikolaus Kopernikus hat das alte Weltbild auf den Kopf gestellt: Nicht die Erde steht im Zentrum des Universums, sondern die Sonne. Damit wird der Erde ihre herausragende Stellung genommen, sie zählt nur noch als ein die Sonne umkreisender Planet unter vielen anderen. Völlig unmöglich erschien vielen Zeitgenossen zudem der weiterführende Gedanke Kopernikus, die Erde solle sich um die eigene Achse drehen. Solche Behauptungen missfielen der Kirche, brachten diese „ketzerischen Gedanken“ doch das alte Weltbild und die Sonderstellung der Erde gehörig ins Wanken.
Doch einer war fasziniert: der junge Johannes Kepler. Als ihn die Kunde vom heliozentristischen Weltbild erreichte, studierte der 1571 in Weil der Stadt bei Stuttgart geborene Kepler evangelische Theologie in Tübingen. Schon als Kind hatte er ein Faible für Astronomie. Kepler, der ursprünglich protestantischer Geistlicher werden wollte, nahm schließlich mit 23 Jahren einen Lehrauftrag für Mathematik an der evangelischen Stiftsschule in Graz an und begann mit seinen Forschungen. Durch seinen Lehrer Michael Mästlin hatte er von der kopernikanischen Theorie erfahren und setzte alles daran, die Ideen Kopernikus zu beweisen.
Im Jahr 1600 bot sich ihm die Gelegenheit, als Assistent für den renommierten Astrologen Tycho Brahe in Prag zu arbeiten. Die beiden Wissenschaftler befruchteten sich gegenseitig: Brahe profitierte von Keplers mathematischer Begabung, Kepler von dessen präzisen astronomischen Beobachtungen, die ihm aufgrund seiner eigenen Sehschwäche versagt blieben. Als Brahe nach einem Jahr überraschend starb, rückte Kepler als kaiserlicher Hofmathematiker unter Rudolf II. nach.
Gestützt auf die Beobachtungen Brahes, entwickelte Kepler seine drei Planetengesetze, die heute als Keplersche Gesetze bekannt sind. In diesen formulierte er Gesetzmäßigkeiten, mit denen sich die Planeten um die Sonne bewegen. Ursprünglich ging Kepler davon aus, dass die Himmelskörper auf kreisförmigen, „göttlich vollkommenen Bahnen“, in immer gleichem Tempo, laufen. Doch im Jahr 1609 findet er endlich die richtige Lösung: In seinem Buch „Astronomia Nova“ beschreibt er, dass die Planeten auf elliptischen Bahnen um die Sonne laufen (Erstes Keplerisches Gesetz). Darüber hinaus stellt er fest, dass die Planeten nicht immer eine konstante Geschwindigkeit haben; diese hängt davon ab, wie groß der Abstand zur Sonne ist (Zweites Keplerisches Gesetz). Keplers Entdeckungen nahmen den Planeten das Mystische - damit war die Astronomie als Wissenschaft geboren.
Beinahe ein Nebenprodukt seines Schaffens ist das Kepler-Fernrohr, das der Mathematiker 1611 erfand. Es zählt zu der Kategorie „Linsenfernrohr“ und besitzt sowohl als Okular mit einer kleinen Brennweite, als auch als Objektiv mit einer großen Brennweite, konvexe Sammellinsen. Dabei wirkt das Okular als Lupe, ähnlich wie bei einem Mikroskop, und vergrößert damit das durch das Objektiv entstandene Zwischenbild. Im Brennpunkt treffen die durch die Linse gebündelten Strahlen zusammen und erzeugen ein auf dem Kopf stehendes Zwischenbild. Die Linsenfernrohre, mit denen eine 100-fache Vergrößerung erzielt werden konnten, waren allerdings nicht lange im Gebrauch – schon ein Jahrhundert später wurden sie von den Spiegelfernrohren abgelöst.
Mit seinen wissenschaftlichen Untersuchungen im Bereich der Optik, bestätigte der Stuttgarter Astronom die Entdeckungen, die sein Zeitgenosse Galileo Galilei mit dem Teleskop unternommen hatte. Dieser hatte die Jupitermonde entdeckt – ein Beweis für das kopernikanische Weltbild. Doch die Kirchengelehrten wollten davon nichts wissen: Galileo Galilei wird bei der Inquisition angezeigt und muss abschwören. Erst zwei Jahrhunderte später erkennt die katholische Kirche die Lehre des Kopernikus an, daran vermag auch Kepler mit seinen Berechnungen nichts zu ändern.
Wie Luther auf die bahnbrechenden Entwicklungen seiner Zeit reagierte, ist in der Wissenschaft umstritten. Das Gerücht, er sei ein erbitterter Gegner der kopernikanischen Theorie gewesen, hält sich hartnäckig. „Der Narr will die ganze Kunst Astronomiae umkehren“, soll Luther bei einer Tischrede 1539 gesagt haben. Allerdings gibt es keine schriftlichen Beweise für diese Äußerungen, da der Autor jener Zeilen, Johannes Goldschmidt, nicht selbst bei dem Treffen anwesend war. Vermutlich war für Luther diese bahnbrechende Erkenntnis von Kopernikus nicht sonderlich von Interesse.
Heute zählt Kepler, der 1630, im Alter von 58 Jahren in Regensburg starb, mit Kopernikus und Galileo Galilei, zu den Begründern der modernen Naturwissenschaften. Keplers Grab ist nicht erhalten geblieben, dafür aber eine von ihm formulierte Inschrift: „ Himmel hab ich gemessen. Jetzt mess‘ ich die Schatten der Erde.“