Titel-Illustration Sechs Bagatellen

ARD Woche der Musik: Das Ligeti Experiment

György Ligeti: Sechs Bagatellen | Hintergrund

Stand
Autor/in
Katharina Höhne (im Auftrag des Südwestrundfunk)

Als György Ligeti Student war, lernte er das Werk von Béla Bartók kennen. Die Musiksprache des damals größten ungarischen Komponisten beeindruckte ihn sehr, sodass er – im Geiste seines großen Vorbildes – eigene Versuche wagte. Die Sechs Bagatellen, die er später für Bläserquintett schrieb, verweisen auf diese erste Begegnung und sind stark von Bartóks Musik geprägt.

"Die Sechs Bagatellen basieren auf einer Reihe von elf Klavierstücken, [der Musica Ricercata], die ich zwischen 1951 und 1953 in dieser völligen künstlerischen Isolation schrieb."

Ligeti bezieht sich damit auf die politischen Verhältnisse der damaligen Zeit. Auch in Ungarn, dem Land, in dem er mittlerweile lebte, galten sehr strenge Vorgaben, wenn es um Musik ging. Anstatt in einen regen Austausch mit Künstlerinnen und Künstlern aus aller Welt zu kommen, musste er sich auf das besinnen, was er in Ungarn und anderen osteuropäischen Ländern vorfand. Und das war in Zeiten des sozialistischen Realismus nicht viel. Auch die Musik von Bartók galt mittlerweile als politisch inkorrekt und war deshalb kaum noch zu bekommen. Doch Ligeti war das egal. Er orientierte sich trotzdem an ihr und im Falle seiner Sechs Bagatellen an "Mikrokosmos", einer Sammlung von 153 Klavierstücken in unterschiedlichen Spiellevels, die Bartók 1940 veröffentlicht hatte. Sie gilt bis heute als ein Meisterwerk der Musikgeschichte.

Reduziert: Weniger ist mehr

Bartóks "Mikrokosmos" unterliegt einem strengen Ordnungsprinzip. Reduziert auf ein Minimum, braucht jedes seiner Stücke nur wenig musikalisches Material. Ligeti übernahm diese Idee und ließ seine Musica Ricercata zu einer Art musikalischer Versuchsreihe werden. Denn das erste seiner insgesamt elf Klavierstücke besteht aus nur einem einzigen Ton. Das zweite aus drei Tönen, das dritte aus vier Tönen usw. Nur im letzten Stück erklingen alle zwölf Töne der chromatischen Tonleiter. Ihm ging es also darum herausfinden, wie sich ein und derselbe Ton verändert, je nachdem in welcher Höhe er ihn spielt, wie lang oder kurz, wie stark – aber auch, wie sich sein Klang verändert, wenn zum Beispiel ein zweiter Ton dazukommt, später ein dritter, ein vierter…

Auch wenn Ligeti mit seinem musikalischen Experiment der Tradition und damit vor allem Bartók verbunden blieb, ein wenig blitzt darin bereits der Komponist auf, der er später werden wird. Vor allem in seiner Bearbeitung, den Sechs Bagatellen. Dadurch, dass er mit Flöte, Klarinette, Oboe, Fagott und Horn fünf Instrumente zur Verfügung hat, fällt es kaum mehr auf, dass die einzelnen Stücke aus nur so wenigen Tönen bestehen. Doch was noch viel wichtiger ist: Dadurch, dass jedes von ihnen seine ganz eigene Klangfarbe hat, durchmischen sich diese auf fast malerische Weise.

Zensiert: Komponieren für die Schublade

Ligeti: "Es gab keine Möglichkeit, [meine Sechs Bagatellen] aufzuführen oder zu publizieren, bis sich die politische Situation etwas entschärfte." Als es dann endlich soweit war, blieb jedoch der sechste und damit letzte Satz weiterhin ungespielt. Dieser beinhaltete nämlich Dissonanzen und, um Ligeti sprechen zu lassen: "Totalitäre Systeme lieben keine Dissonanzen."

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Katharina Höhne (im Auftrag des Südwestrundfunk)