Titel-Illustration Lontano

ARD Woche der Musik: Das Ligeti-Experiment

György Ligeti: Lontano | Hintergrund

Stand
Autor/in
Katharina Höhne (im Auftrag des Südwestrundfunk)

"Hinter der Musik gibt es eine Musik und dahinter noch eine Musik, eine unendliche Perspektive, so wie wenn man sich in zwei Spiegeln sieht und eine unendliche Spiegelung entsteht."

Obwohl György Ligeti davon überzeugt war, dass KIs nie den kreativen Geist eines Menschen erfassen werden, faszinierte ihn die Technologie. Denn das, was sich in den gut 80 Jahren seines Lebens entwickelt hatte, war enorm. Während es in seiner Kindheit nicht mehr als ein altes Radiogerät gab, kam nur wenige Monate nach seinem Tod das erste Smartphone auf den Markt.

In Köln lernte Ligeti die elektronische Musik kennen. Insgesamt drei Stücke schrieb er in dieser Zeit, kehrte aber zu Papier und Stift zurück und komponierte fortan ausschließlich Musik für "echte" Instrumente. Dennoch floss das, was er in Köln gelernt hatte, und auch das, was ihn technisch umgab, in seine Kompositionssprache mit ein, sodass sich das Konzertpublikum oft fragte, ob gerade wirklich nur das Orchester spielte oder ob die Musik nicht doch aus einem Computer kam.

Scharf. Unscharf. Tiefenscharf: Der Klang im Raum

Lontano ist eines der bekanntesten Werke, das Ligeti für großes Orchester geschrieben hat. Darin verzichtete er auf alles, was in der Musik wichtig ist: Melodie, Rhythmik und Harmonik. Ihm ging es einzig und allein um den Klang und wie sich dieser Klang durch den Raum bewegt.

Ziel eines guten Fotos ist es, dass das Motiv, das wir fotografieren wollen, möglichst scharf wird. Manchmal wollen wir aber auch einen Fokus setzen. Dann zoomen wir heran, sodass nur ein Teil des Motivs scharf wird und der Rest sich quasi auflöst, also unscharf wird. Ligeti versuchte mit Lontano nichts anderes als genau das: Wie ein Fotograf experimentierte er darin mit der Schärfe der Klänge. Mal wirken sie wie verschwommen, mit den Ohren kaum zu erfassen. Mal dreht er am Objektiv und holt die Schärfe wieder zurück. Ligeti nutzt dafür seine liebste Kompositionsmethode: die Clustertechnik.

Die totale Illusion: Das Spiel mit den Klangfarben

Als Cluster bezeichnet man in der Musik eine Ansammlung von Tönen. Die liegen oft so dicht neben- oder auch übereinander, dass sie sich quasi auflösen. Das heißt, der einzelne Ton verschwindet im Gesamtklang. Ligeti war ein echter Meister im Auf- und Umschichten von Klängen, weil er es auf eine so unauffällige Weise tat. Fast schon heimlich tauschte er nacheinander Ton für Ton aus, sodass im Verlauf der Musik ein vollkommen neuer Klang entstand und damit auch eine neue Farbe.

Ligeti liebte das Spiel mit den Klangfarben, vor allem in Lontano. Indem er seine Klänge auf- und wieder absteigen ließ, scheint es, als würden sie heller bzw. dunkler werden. Und je nachdem, wie dicht er die einzelnen Töne aneinandersetzte, desto näher wirken sie, ehe sie wieder in der Ferne verschwinden. Daher übrigens auch der Name des Stück. Das Wort "Lontano" stammt aus dem Italienischen und heißt übersetzt "weit weg".

Kinoreif: Lontano als Filmmusik

Mit Lontano beweist Ligeti, dass er nicht nur ein großartiger Komponist ist, sondern auch ein Illusionskünstler! Denn durch das permanente Heran- und wieder Wegzoomen entsteht eine unglaubliche Spannung in der Musik. Kein Wunder, dass es sein Werk immer wieder in die Kinos schafft. Schon oft wurde Lontano zum Soundtrack von Horrorfilmen und Psychothrillern.

Alle Themen zum Schwerpunkt György Ligeti

Stand
Autor/in
Katharina Höhne (im Auftrag des Südwestrundfunk)