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Krieg der Träume

Revolution: 1922 – 1924 | Hintergrund

Stand
Autor/in
Dirk Praller

Je bedrückender viele Menschen in Europa nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Gegenwart erleben, desto mehr richten sich ihre Hoffnungen auf die Zukunft. Das gilt für die schwedische Frauenrechtlerin und Sexual-Aufklärerin Elise Ottesen wie für den enttäuschten deutschen Nationalisten Rudolf Höß; und es gilt für den Vietnamesen Nguyen Ai Quoc, der nach Jahren der Wanderschaft und einem längeren Aufenthalt in Paris eine Zukunft als Berufsrevolutionär ins Auge fasst.

Ein Revolutionär auf Bildungsreise

Vladimir Lenin und Josef Stalin 1923 (Foto: Imago, United Archives International)
Vladimir Lenin und Josef Stalin 1923 Bild in Detailansicht öffnen
Briefmarke zum 50. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei Indochinas durch Ho Chi Minh, 1980 Bild in Detailansicht öffnen

Wie viele andere Intellektuelle und Politiker, die von einer kommunistischen Gesellschaft träumen, geht auch Nguyen Ai Quoc (*1890) nach Moskau, wo er ab 1923 die von der Komintern gegründete „Kommunistische Universität für die Werktätigen des Ostens“ besucht. Anders als Lenin und Trotzki glaubt er nicht daran, dass das deutsche Proletariat einen wichtigen Beitrag zur Weltrevolution leisten wird; vielmehr hofft er auf die Notleidende, bäuerliche Bevölkerung der Kolonien. Der offiziellen Parteilinie zu widersprechen, ist nicht ungefährlich, zumal Stalin nach Lenins Tod im Januar 1924 die Macht übernommen hat.

Auf dem fünften Komintern-Kongress im Juni 1924 versucht Nguyen die Delegierten für seine Sicht der Dinge zu interessieren. Im Anschluss ändert Moskau zwar nicht seine Politik, widmet der Frage der Kolonien aber mehr Aufmerksamkeit und holt verstärkt asiatische Schüler an die Universität. Nguyen Ai Quocs Bekanntheit in der UdSSR steigt. Er ist Co-Autor einer Anleitung für kommunistische Aufstände, die 1928 in Moskau gedruckt wird. 1930 gehört er zu den Gründern der Kommunistischen Partei Indochinas, aus der später die KP Vietnams hervorgeht. Ab 1942 kämpft er in seiner Heimat gegen die japanische Besatzungsmacht, die mit dem französischen Kolonialregime kollaboriert. Unter seinem Kampfnamen Ho Chi Minh ruft er 1945 in Hanoi die Demokratische Republik Vietnam aus. Als weder Frankreich noch China den Staat anerkennen, organisiert er den Widerstand: zuerst im Indochina-Krieg gegen Frankreich 1946–1954, dann ab 1955 im Vietnam-Krieg, an dem ab 1965 auch die USA teilnehmen. Den Sieg seiner Anhänger (1975) erlebt er nicht mehr; er stirbt 1969.

Frauenrechte und Emanzipation

Kriegswaisen. (Foto: Imago, United Archives)
Kriegswaisen des Ersten Weltkrieges wird eine Suppe serviert, Berlin 1.1.1918 Bild in Detailansicht öffnen
Demonstration von Arbeiterinnen und Arbeitern für mehr Frauenrechte und bessere Lebensbedingungen, Petrograd 17.4.1917, Bild in Detailansicht öffnen

Wie der Kampf für die Weltrevolution, so kennt auch die Frauen-Frage keine nationalen Grenzen. Was Elise Ottesen (*1886) bei ihren Besuchen proletarischer Frauen in Schweden erlebt, ist in anderen Ländern kaum anders. Während des Ersten Weltkrieges werden Frauen überall in Europa vermehrt berufstätig, um die Männer zu ersetzen, die an der Front kämpfen. Nach 1918 sind Millionen von Männern Kriegsinvalide und erwerbsunfähig; es gibt viele Witwen und Waisen.

Die Rolle der Frauen in der Gesellschaft wandelt sich; dazu trägt auch der Rückgang der Kinderzahl bei. In Deutschland wird 1919 das Frauenwahlrecht eingeführt. Anders als für viele bürgerliche Frauen, die in der Emanzipation die Chance sehen, ihrer verordneten Passivität zu entkommen, steht für Proletarierinnen die Gleichberechtigung am Arbeitsplatz im Vordergrund. Viele müssen arbeiten, weil der Lohn ihrer Männer nicht für den Unterhalt der Familie ausreicht; zugleich leiden sie unter ihrem Dasein als Gebärmaschinen. Elise Ottesen ist seit Kriegsende mit dem schwedischen Friedensaktivisten Albert Jensen liiert. Als er wegen seiner politischen Aktivitäten aus Norwegen ausgewiesen wird, geht sie mit ihm nach Dänemark, wo sie ein Kind zur Welt bringt, das kurz nach der Geburt stirbt. Das Paar zieht nach Schweden, wo Ottesen als Journalistin arbeitet. Nachdem sie sich bei einem Arzt über neue Verhütungsmethoden für Frauen – das ist illegal! – hat aufklären lassen, bereist sie das Land, um ihr Wissen mit Arbeiterinnen zu teilen. Die Verständigung zwischen der intellektuellen Journalistin und den Arbeiterfrauen, die oft weder lesen noch schreiben können, erweist sich als schwierig. Ottesen muss ihre Ansprüche der Realität anpassen, um eine gemeinsame Ebene mit den Frauen zu finden. Dabei hilft ihr, dass sie deren Schicksal aus ihrer eigenen Familie kennt. Ihre Mutter, die achtzehn Kinder geboren hatte, litt zeitlebens unter den Schwangerschaften, die als gottgegeben hingenommen wurden. Ottesen streitet für das Recht der Frauen auf sexuelle Selbstbestimmung, auf Verhütung, Schwangerschaftsabbruch, aber auch für die Rechte von Homosexuellen und die Gleichberechtigung der Geschlechter. Da ihre Aktivitäten gegen geltende Gesetze verstoßen, drohen ihr hohe Strafen. Dennoch engagiert sie sich als Gewerkschaftsmitglied für Frauenrechte und schreibt in den 1920er Jahren in verschiedenen linken Zeitschriften über Frauenthemen.

Die 1920er Jahre in Deutschland

Französische Truppen besetzen Kohlestandort Essen, 23.1.1923 (Foto: Imago, United Archives International)
Französische Truppen besetzen Kohlestandort Essen, 23.1.1923

In den ersten Jahren nach Inkrafttreten des Versailler Vertrages liegt die Weimarer Republik finanziell am Boden; die deutsche Wirtschaft leidet unter den hohen Reparationsforderungen und Industriedemontagen; der Staat druckt Geld, um seine Schulden zu begleichen. Die Folge ist eine beispiellose Geldentwertung, deren Vorgeschichte in den Ersten Weltkrieg zurückreicht. Das Kaiserreich hat den Krieg mit Anleihen finanziert, denen nach der Niederlage keine Sachwerte gegenüberstehen. Als Frankreich 1923 wegen ausbleibender Reparationszahlungen das Ruhrgebiet besetzt, kommt es zum Generalstreik, zu passivem Widerstand, aber auch zu Sabotage-Aktionen. Die Inflation verschärft sich und stürzt große Teile der Bevölkerung in Not und Elend. Besonders betroffen ist die Mittelschicht mit ihren Sparguthaben. Anders als von den Kommunisten in Moskau erhofft, münden Unruhen im Ruhrgebiet und in Sachsen nicht in eine sozialistische Revolution.

Von links: Gustav Stresemann, Joseph Austen Chamberlain und Aristide Briand (Foto: Imago, Leemage)
Von links: Gustav Stresemann gemeinsam mit Joseph Austen Chamberlain und Aristide Briand in Locarno (Schweiz) 1925

Auch die Freikorps-Aktivitäten des selbsternannten Nationalen Widerstands, an denen sich Rudolf Höß (*1901) im Baltikum, im Ruhrgebiet und in Oberschlesien beteiligt, laufen ins Leere. Wegen der Beteiligung an einem Feme-Mord gegen einen Verräter aus den eigenen Reihen, wird Höß, der sich zeitweise als Tagelöhner durchschlägt, 1924 zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Er kommt aber schon 1928 im Rahmen einer Amnestie wieder frei. Er setzt seine Hoffnungen auf Adolf Hitler, der die radikale Rechte in der neu gegründeten NSDAP sammelt, der Höß schon 1922 beitritt. Ein erster Versuch der Machtübernahme nach dem Vorbild Mussolinis scheitert am 9.11. 1923 kläglich. Höß gründet eine Familie, arbeitet als Landarbeiter und wartet auf den Tag X.

„Schwarzer Donnerstag“ (Foto: Imago, United Archives International)
„Schwarzer Donnerstag“, Menschenmenge und Polizei vor der New Yorker Börse nach dem Wallstreet-Crash am 24.10.1929

Die Einführung der sogenannten Rentenmark stoppt die Inflation; der Dawes-Plan, der 1924 die Reparationszahlungen regelt und die Besetzung des Ruhrgebiets beendet, erweitert den Spielraum der deutschen Wirtschaft. In der Folge strömen amerikanische Kredite ins Land; das leitet eine Phase relativer wirtschaftlicher und politischer Stabilisierung ein. Aber nur zwei Regierungen dieser Zeit besitzen eine Mehrheit im Parlament, keine Regierung übersteht eine komplette Legislaturperiode. Die Zahl der Arbeitslosen sinkt nie unter eine Million. Gustav Stresemann gelingt als Außenminister unter wechselnden Regierungen eine Annäherung an Frankreich; sie wird 1925 im Vertrag von Locarno besiegelt, in dem Deutschland seine West-Grenze anerkennt. Stresemann und sein französischer Kollege Aristide Briand erhalten dafür 1926 den Friedensnobelpreis.

Zur Normalisierung trägt auch der Beitritt Deutschlands zum Völkerbund 1926 bei. Die 1929 von den USA ausgehende Weltwirtschaftskrise beendet den Aufschwung und die Phase der relativen politischen Stabilisierung; die Krise trifft Deutschland umso härter, als seine Wirtschaft durch Kredite stark mit der US-Wirtschaft verwoben ist. Als die USA kurzfristig ihr Geld zurückrufen, spitzt sich die wirtschaftliche und politische Lage dramatisch zu.

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Überleben

Sommer 1918. Seit vier Jahren tobt der Erste Weltkrieg. Lange waren die Fronten festgefahren, Hunderttausende sind in dem brutalen Stellungskrieg gefallen. Doch seit dem Kriegseintritt der Amerikaner 1917 haben sich die Alliierten Vorteile erkämpft. Im Herbst 1918 ist eine deutsche Niederlage nicht mehr abzuwenden: Deutschland muss kapitulieren. Am 11. November tritt der Waffenstillstand in Kraft.

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Frieden

Paris 1919: Politiker aus Großbritannien, den USA, Frankreich, Italien und anderen Staaten verhandeln auf der Friedenskonferenz über die Zukunft Europas: Die Großmächte dominieren die Verhandlungen mit dem Ziel, die eigene Vormachtstellung in der Welt zu sichern. Die deutsche Delegation hat keine Wahl, sie muss den Versailler Vertrag unterschreiben, der das Land zu Gebietsabtretungen, Abrüstung und hohen Reparationszahlungen verpflichtet.

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Entscheidungen

Die wirtschaftliche Lage in Europa ist prekär: Inflation und Arbeitslosigkeit steigen. Breite Teile der Bevölkerung leiden Hunger. In Italien kommt es zu schweren Unruhen, in Deutschland besetzen kommunistische Kämpfer Fabriken, um gegen die Arbeitsbedingungen zu protestieren. Rechte Freikorps und die Reichswehr gehen brutal gegen Arbeiter vor. Während die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, boomt in Berlin die Unterhaltungsindustrie.

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Revolution

Moskau ist ein Sehnsuchtsort für alle, die von einer kommunistischen Gesellschaft träumen. Intellektuelle und Freiheitskämpfer aus ganz Europa pilgern hierher. Doch wird das Gesellschaftsexperiment vor allem mit Gewalt voran­getrieben. Deutschlands Wirtschaft liegt am Boden, der Staat ist pleite. Frankreich besetzt 1923 wegen ausbleibender Reparationszahlungen das Ruhrgebiet. Um den Verpflichtungen nachzukommen, wirft Deutschland die Notenpressen an: Eine Hyperinflation ist die Folge.

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Crash

Während eine kleine Oberschicht die „Goldenen Zwanziger“ genießt, leben in den Armenvierteln Millionen Menschen im Elend. Ende 1927 kommt ein neues Finanzprodukt aus Amerika nach Europa: der Konsumentenkredit. Die Menschen kaufen massenhaft auf Pump und spekulieren mit Aktien. Mit dem Schwarzen Freitag 1929 zerplatzt der Traum vom Aufschwung für alle. Die US-Banken ziehen ihr Geld ab und verlangen die Kredite zurück. Banken brechen zusammen, es folgen Warenhäuser und Betriebe.

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Versprechen

Die Massenarbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise erreicht 1932 ihren Höhepunkt. In Deutschland kämpft die Weimarer Republik ums Überleben. Ständig wechselnde Regierungen werden zwischen Extremisten von Links und Rechts zerrieben. Kommunisten und Nationalsozialisten liefern sich blutige Straßenschlachten. Am 30. Januar 1933 wird Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Der Reichstagsbrand Ende Februar 1933 dient dem Regime als Vorwand für die Zerschlagung der KPD und die Verfolgung ihrer Mitglieder. Jüdische Bürger sehen sich massiven Repressalien ausgesetzt.

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Verrat

In Deutschland herrscht Vollbeschäftigung. 1935 verabschiedet die NS­Regierung die Nürnberger Gesetze, die jüdische Bürger diskriminieren. Frankreich wählt eine sozialistische Regierung, worauf eine Kapitalflucht einsetzt, die die wirtschaftlichen Probleme verschärft. In Spanien putschen rechte Generäle unter Francisco Franco gegen die linke Regierung. 1936 bricht der Bürgerkrieg aus. Hitler und Mussolini unterstützen Franco, während junge Freiwillige aus ganz Europa für die Republik kämpfen. In der Sowjetunion lässt Josef Stalin Konkurrenten als „Volksfeinde“ brutal verfolgen und ermorden.

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Krieg

Im März 1938 marschieren deutsche Truppen in Österreich ein. Am 9. November zerstören Nazis in der Pogromnacht jüdische Geschäfte, stecken Synagogen in Brand und ermorden hunderte Menschen. Im März 1939 besetzen deutsche Truppen die Tschechoslowakei. Der britische Premierminister Neville Chamberlain verkündet das Ende der Appeasement-Politik. Während sich Polen die Unterstützung Englands und Frankreichs sichert, schließt Deutschland einen Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion. Der deutsche Überfall auf Polen erfolgt am 1. September 1939. Der Zweite Weltkrieg beginnt.

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Das Making-of

Wie macht man vergangene Zeiten erlebbar und bleibt dabei so nahe wie möglich an den historischen Quellen? Dieser Aufgabe hat sich die dokumentarische Dramaserie „Krieg der Träume“ gestellt: Sie zeichnet das Leben realer Personen nach und verwebt Spielszenen eng mit historischem Bildmaterial. Die unterschiedlichen Lebenssituationen der Menschen in Europa, ihre Perspektiven und politischen Utopien werden genauestens rekonstruiert. Welche Recherchearbeit darin steckt und wie Kamera und Musik eingesetzt werden, zeigt dieses Making-of.

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Dirk Praller