Titel-Illustration Poème Symphonique

ARD Woche der Musik: Das Ligeti-Experiment

György Ligeti: Poème symphonique | Hintergrund

Stand
Autor/in
Katharina Höhne (im Auftrag des Südwestrundfunk)

„Die Idee einer mechanisch tickenden Musik verfolgt mich seit meiner Kindheit; sie verbindet sich mit Fantasien eines klingenden Labyrinths und mit jenen ins Unendliche multiplizierten Bildern, die entstehen, wenn man sich in zwei einander gegenüberstehenden Spiegeln betrachtet.“

Die Welt der Technik zog György Ligeti Zeit seines Lebens magnetisch an. Vor allem Uhren und die sich darin befindenden Uhrwerke. Immer wieder versuchte er, den Gedanken des sich stetigen Wiederholens eines gleichbleibenden Rhythmus‘ in seine Musik zu holen, und trieb dies mit dem Poème symphonique schließlich auf die Spitze.

Entstehung von Ligetis "Poème symphonique"

Das Werk entstand 1962 und führte bei seiner allerersten Aufführung im niederländischen Hilversum zu einem „fürchterlichen Skandal“, so Ligeti später. Denn anstatt eines Ensembles oder Orchesters standen – als auszuführende Musiker:innen – 100 Metronome auf der Bühne. Ligeti übernahm die Rolle des Dirigenten, zehn seiner Schüler:innen die der „Spielenden“. Ihre Aufgabe war es, bei jeweils zehn Metronomen die Geschwindigkeit einzustellen, sie danach vollständig aufzuziehen und – auf Ligetis Zeichen – zu starten. Als die Metronome liefen, verließen sie den Saal und sowohl die Metronome als auch das Publikum blieben auf sich allein gestellt.

„Zu Beginn ticken so viele Metronome durcheinander, dass der Gesamtklang kontinuierlich erscheint“, beschrieb Ligeti das Poème. Doch mit dem Stehenbleiben der ersten Taktmesser verändert sich der Klang. Er dünnt sich aus, sodass einzelne Rhythmen in den Vordergrund treten, während andere sich aufzulösen scheinen. Je mehr Metronome verklingen, desto gleichförmiger wird der Rhythmus, „bis nur noch ein Metronom tickt“ – regelmäßig, wie der Zeiger einer Uhr. Noten gibt es zum Poème übrigens nicht. Es existiert lediglich eine in Schreibmaschinenschrift angefertigte A4-Seite, auf der Ligeti die Anweisung festhielt, wie man 100 Metronome beschafft, aufstellt, einstellt und aufzieht. Denn sobald sie laufen, nimmt die Musik ihren eigenen Lauf.

Statement statt Unsinn

Tatsächlich wurde Ligetis Werk von vielen Zeitgenossen als Unsinn abgewertet. Er selbst empfand diese Kritik als ungerechtfertigt. Zum einen, weil er das Spiel der Rhythmen wirklich faszinierend fand, und zum anderen, weil er mit seiner Musik ein Statement setzen wollte: Das Poème stammt aus einer Zeit, in der jede Menge Neue Musik geschrieben wurde. Viele dieser Werke entsprachen nicht den damaligen Hörgewohnheiten, klangen abstrakt oder sperrig und erschlossen sich nur denjenigen, die selbst solche Werke zu Papier brachten. Das „normale“ Konzertpublikum dagegen fand selten einen Zugang zu ihnen und fühlte sich oft – so wie es Ligeti bei der Premiere mit seinem Verlassen des Raumes demonstriert hatte – mit der Musik allein gelassen.

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Katharina Höhne (im Auftrag des Südwestrundfunk)