Dichter sind auch (nur) Menschen!
Steckbriefe, Split Screens, schnelle Schnitte: Wie in modernen Serien taucht die Reihe "Dichter dran" in Leben und Werk von Goethe, Schiller & Co. ein und macht die Begegnung mit den Dichterfürsten zu einem kurzweiligen Erlebnis. Der Deutschlehrer Hartmut Kasper hat die Filme konzipiert und erklärt im Interview Hintergründe der Produktion und Einsatzmöglichkeiten für den Unterricht. Sein Wunsch: Die "visuellen Spickzettel" sollen den Schülern zeigen, dass die Autoren mehr sind als ihr Werk.
Herr Kasper, welchen Anspruch verbinden Sie mit dem Titel "Dichter dran!"?
Im Unterricht gibt es immer eine große Distanz zwischen den Autoren und den Schülerinnen und Schülern: Die Dichter sind nicht als Personen vorhanden, sondern nur mit ihren Werken – und die sollen nach einer bestimmten Methodik untersucht werden. Das Schulministerium will Kriterien anlegen, die vergleichbar sind.
Die Lebensdaten spielen nur insofern eine Rolle, als sie für das Verständnis der Texte hilfreich sind. Wir wollten zeigen, dass die Autoren ein Leben abseits ihrer Bücher hatten und wie die Werke aus ihrem Leben entstanden sind. Die Schüler sollen den Dichtern als Menschen näher kommen. Die meisten der Werke, die in NRW verpflichtend sind, haben die Autoren in ihrer Jugend verfasst.
Was spricht die Schüler denn besonders an?
Unter anderem das Thema Schule – also haben wir uns auf Schulgeschichten der Autoren konzentriert: Thomas Mann ist drei Mal sitzen geblieben. Goethe hat kaum je das Innenleben einer öffentlichen Schule gesehen. Schiller litt so unter der Schule, dass er mit 15 Jahren noch Bettnässer war – und dagegen Tabak kaute und verbotene Bücher las. Außerdem interessiert Schüler in dem Alter natürlich der Umgang mit dem anderen Geschlecht: Die ausgewählten Autoren bieten ein interessantes Spektrum in der Wahrnehmung von Sexualität und Erotik.
Und womit haben die Schüler Probleme?
Ironie zu verstehen. Schüler fragen oft: Warum schreibt der Autor nicht einfach, was er meint? Viele der Autoren, die verpflichtend gelesen werden, sind zwar relativ ironiefrei. Aber wir haben drei Autoren in der Reihe, die Meister der Ironie sind: Heinrich Heine, Thomas Mann und Irmgard Keun. An dieser zweiten, witzigen Ebene Spaß zu finden, fällt Schülern manchmal schwer. Sonst hat man es ja eher mit sehr ernsten, seriösen Autoren zu tun.
Wie sind Sie dem in den Filmen begegnet?
Wir haben nicht nur mit realem Bildmaterial gearbeitet, sondern auch mit kleinen Trickfilmen, in denen die Autoren karikaturistisch animiert sind. So konnten wir witzige Details aufgreifen: Da sieht man zum Beispiel Thomas Mann, der durch Wagner-Postkarten lustwandelt oder Napoleon, der vor Goethe den Hut zieht. Diese comichaften Darstellungen kommen augenzwinkernd daher - aber sie sagen auch immer etwas aus, das für das Verständnis der Texte fundamental ist. So wollten wir den Schülern nahe bringen, dass man auch in einem ironischen Tonfall etwas durchaus treffend sagen kann.
Welche Quellen haben Sie zur Recherche genutzt?
Wir sind ganz klassisch germanistisch vorgegangen und haben Biografien sowie Tagebücher oder Briefe gelesen. Im Fall von Irmgard Keun konnten wir außerdem auf Interviews im Archiv zurückgreifen.
Welchen Einsatz im Unterricht wünschen Sie sich?
Die Filme sind kleine pointierte Gesprächsanlässe, die im Idealfall alles das, was für den Text wichtig ist, noch einmal vor Augen führen. Andreas Schäfer, mein Kollege und der Regisseur der Reihe, hat das "visuelle Spickzettel" genannt. Unsere Filme können die Instruktionsphase übernehmen, in der sonst der Lehrer etwas erklärt, und die Diskussion zwischen den Schülern anregen. Ein Film könnte im Unterricht also eine Reihe eröffnen oder eine Auffrischung – zum Beispiel in den Abiturvorbereitungen - einleiten.
Zur Form: Die Dichter sitzen im Klassenzimmer - und damit auf einer Ebene mit den Schülern. Warum?
Wir wollten ein einheitliches Intro als Anlaufphase. Das Klassenzimmer selbst ist eine Karikatur, ein ironischer Verweis darauf, dass wir uns in einer anderen Zeit und damit in einem anderen System von Schule, Bildung und Kultur bewegen.
Auffällig ist, dass Sie viele heutige Aufnahmen verwenden…
Natürlich hätten wir zum Beispiel bei Heine auch historische Bilder von Paris um 1820 zeigen können. Aber das wäre nicht das Paris gewesen, durch das Heine gelaufen ist, sondern die Interpretation eines Künstlers – und das grenzt an Verfälschung. Außerdem liegt mir daran, den Schülern zu zeigen, dass die Autoren zwar historische Persönlichkeiten waren – dass sie uns aber immer noch gegenwärtig sind, weil wir sie heute lesen. Diese Gegenwärtigkeit wollten wir filmisch zum Beispiel mit einer modernen Kameraführung darstellen und so unseren heutigen Sehgewohnheiten entsprechen.
Zurück zur inhaltlichen Ebene: Goethe und Schiller kennt jeder - was sollen die Schüler aus den Filmen mitnehmen?
Zwei Sachen: Das Bewusstsein, dass der Autor immer auch mehr ist als sein Werk. Er gibt im Text einen Teil von sich preis. Ich kann einen Autoren als blöd einstufen oder denken, der geht mich nichts an. Aber wenn ich mich mit seinem Leben beschäftige, bin ich vielleicht eher bereit, ihm zuzuhören und lästige Formulierungen durchgehen zu lassen, weil ich weiß, dass da bestimmte Nöte und Interessen dahinterstecken.
Wenn Goethe zum Beispiel eine idealistische Frau wie Iphigenie aufbaut, hat das damit zu tun, dass er als Minister in einem Kleinstaat viel mit Krieg zu tun hatte und um Konfliktlösungen ohne Waffengewalt gerungen hat. Es wäre schön, wenn die Schüler einen Blick dafür bekommen, dass auch ein so hochidealistisches Werk einen Lebensanlass hat. Außerdem wollen wir den Spaßfaktor retten: Literatur ist nicht nur Prüfungsthema, sondern auch Bereicherung.
Irmgard Keun ist die einzige Frau: Ist die Welt der Literatur eine absolute Männerdomäne?
Ist nicht, war aber. Der große Umschwung kam erst im 20. Jahrhundert – und dann auch nur gegen heftige Widerstände. So hat es zum Beispiel lange gedauert, bis der große Bert Brecht zugab, dass er zu seiner Vergrößerung seines Schaffens die eine oder andere Mitarbeiterin genutzt hat. In der Literaturgeschichte gibt es eine große Dominanz der Männer. Hinzu kommt, dass Literatur nach 1960 in den Vorgaben des Ministeriums kaum stattfindet.
Auffällig ist, dass die Dichter mit ihren menschlichen Schwächen dargestellt werden: War es Ihnen wichtig, die Dichterfürsten von ihrem Sockel zu stoßen?
Auf diesen Sockel haben sich die Autoren ja nicht selbst gestellt. Goethe wurde nach "Faust II" sogar für verrückt erklärt. Wir zeigen auch diskussionswürdige Aspekte – nicht, um zu diffamieren, sondern weil es die Menschen lebendiger und interessanter macht. Man müsste schon sehr viel retuschieren, um einen reinen Helden herauszubekommen. Und warum auch? Selbst Indiana Jones hat einmal eine Rose geklaut.
Bei Goethe ist der Gegensatz von idealistischer Dichtung zum realen Leben mit dem Todesurteil für eine Kindsmörderin extrem. Sollen die Schüler hinterfragen, wie ernst es den Dichtern selbst mit den von ihnen formulierten Postulaten war?
Ich sehe das Spannungsfeld andersherum. Da ist ein Mann, der charakterlich kein großes Vorbild ist – aber das setzt ja die Forderungen seines idealistischen Programms nicht herab. Man sagt auch bei Mathematikern nicht: Das war ein Suffkopp, deswegen stimmen seine Rechnungen nicht. Für mich ist wichtig zu erkennen: Da ist jemand, der sich etwas ausgedacht hat, das er nicht verwirklichen konnte. Aber vielleicht existieren die Ideen mittlerweile von ihm unabhängig weiter und wir greifen sie auf und machen es besser.
Haben Sie etwas Neues über die Porträtierten gelernt?
Aufschlussreich war für mich, dass Schiller Bettnässer war und so darunter litt. Für Schüler, die auch mit diesem Problem kämpfen, kann es unheimlich befreiend sein, wenn sie erfahren: Das ist wie bei Schiller! Solche Details geben den Menschen eine andere Tiefe und zeigen sie noch einmal aus einer anderen Perspektive. Egal, mit wem man sich befasst, man lernt immer noch etwas dazu. Diese Menschen haben eine unerschöpfliche Biografie – mit denen sind wir noch lange nicht fertig!