Collage Bannerbild (Quelle: SWR – Screenshot aus der Sendung) (Foto: SWR – Screenshot aus der Sendung)

Das Mittelalter-Experiment

Was war los beim Konstanzer Konzil? | Unterricht

STAND
Autor/in
Egbert Seng

Inhalt der Sendung

Der knapp 15-minütige Film greift in sieben kurzen Szenen entscheidende religiöse, politische und soziale Probleme auf, die die größte Versammlung des Mittelalters zu bewältigen hatte. Die Tour beginnt mit dem ereignisgeschichtlichen Hintergrund. Das christliche Europa war durch das „Große abendländische Schisma“ gespalten, seit 1409 erhoben drei gleichzeitig amtierende Päpste Anspruch auf die alleinige Nachfolge Petri. Der deutsche König Sigismund wollte diese untragbar gewordene Situation nicht länger hinnehmen und rief die europäischen Herrscher an den Bodensee, um die Christenheit wieder zu einen, Glaubensfragen zu behandeln und die Kirche „an Haupt und Gliedern“ zu reformieren. Die freie Reichsstadt mit ihren knapp 6000 Einwohnern bot als reicher Handelsknotenknotenpunkt gute Voraussetzungen dafür, den Zustrom von zeitweise bis zu 70 000 Besucher aus der ganzen damaligen Welt logistisch bewältigen zu können. Konstanz wurde für vier Jahre zum politisch-kulturellen Zentrum Europas.

3D-Rekonstruktion: Konstanz während des Konzils. (Foto: SWR/WDR – Screenshot aus der Sendung)
3D-Rekonstruktion: Konstanz während des Konzils SWR/WDR – Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen
Jan Hus wird vom Konzil zum Tode verurteilt SWR/WDR – Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Der religiöse Schwerpunkt der Sendung liegt auf dem Schicksal des böhmischen Reformators Jan Hus. Trotz eines Geleitbriefs von König Sigismund fand er in Konstanz kein freies Gehör zur Disputation und verweigerte den Widerruf, der ihm von von seinen Richtern mehrfach erleichtert wurde, seine Reformbewegung jedoch diskreditiert hätte. Die Sprengkraft seiner Anliegen wird in drei Punkten verdichtet: der öffentlichen Kritik am Ablasshandel, an der uneingeschränkten Macht des Papstes und am Reichtum und Besitz des Klerus. Besonders der letzte Punkt trug wohl wesentlich zur Verurteilung bei, obwohl er bei der Urteilsverkündung am 6. Juli 1415 in der 15. Konzilssessio im Konstanzer Münster offiziell nicht genannt wurde. Der Film resümiert, Hus habe die kirchliche Ordnung und damit die Macht der Herrschenden in Frage gestellt und sei als Märtyrer zu einem Wegbereiter der späteren Reformation durch Martin Luther geworden.

Obwohl die Konstanzer Bürger in das eigentliche Konzilsgeschehen nicht einbezogen waren, griffen die weltlichen und geistlichen Geschehnisse, denen ihre Stadt als Schauplatz diente, tief in ihr Alltagsleben ein. Zu organisieren waren nicht nur die Bereitstellung einer genügenden Anzahl angemessener Unterkünfte oder die Begrenzung der Lebensmittelpreise. Aus Italien, Frankreich, Polen, England und Spanien angereiste Gewerbetreibende und Handwerker erhielten für die Dauer des Konzils das Bürgerrecht und eine Arbeitserlaubnis, weil die Kapazität der einheimischen Kräfte nicht ausreichte. Im Film wird dieser Aspekt thematisiert als Möglichkeit für die Bürger, mit einer reichen Kundschaft gute Geschäfte zu machen. Kulturgeschichtlich bedeutsam ist die neue Attraktion von Lotterie und Glücksspielen, die von der Kirche kritisch beäugt wurden. Zu diesen Vergnügungen zählte auch das Kartenspiel, das in dieser Region erstmals jenseits der Alpen bezeugt ist. Nicht nur Zaungäste waren die Konstanzer bei den nun zahllos gewordenen Prozessionen, an denen sich neben der Geistlichkeit auch die Zünfte, das „gemeine Volk“ und Frauen beteiligten.

Zeichnung: Zwei Männer mit mobilem Backwagen. (Foto: SWR/WDR – Screenshot aus der Sendung)
Richental-Chronik: der mobile Backwagen SWR/WDR – Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen
Mittelalter-Experiment: der Nachbau des mobilen Backwagens SWR/WDR – Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Eine weitere Szene geht auf die Turniere und Schießübungen der Handwerkerzünfte ein. Sie fanden auf den Wiesen des „Brühl“ vor den Stadtmauern statt, wo auch die Scheiterhaufen aufgestellt wurden. Aus diesen Schützenfesten gingen die Schützengilden hervor, die die Stadt in Kriegszeiten schützten und vor brandschatzenden Banden verteidigten. Öffentliche Festlichkeiten und Prozessionen boten den Zünften die Möglichkeit zu repräsentativen Auftritten. Ein beliebtes Freizeitvergnügen für einfache Leute war das Kegeln.

In diese vier Sequenzen sind die drei Arbeitsschritte eingeschoben, die die faszinierende Rekonstruktion eines mobilen Backofenwagens anhand einer Bildvorlage aus der zeitgenössischen Chronik des Konstanzer Bürgers Ulrich Richental dokumentieren. Zunächst wird in traditioneller Handwerkstechnik ein Wagengestell mit Holzrädern gefertigt und mit einem Hitzeschutzschild versehen. Das Gerüst für den Ofen besteht aus einem Weidengeflecht und erhält seine Feuerfestigkeit durch die Ummantelung mit einem Gemisch aus Lehm und Stroh. In der dritten Phase kann dann demonstriert werden, dass das nun 300 Kilogramm schwere Gefährt von einem „Pizza-Bäcker“ gut durch die Straßen geschoben werden konnte. Die findige Improvisation zielte zu Konzilszeiten auf eine rasche Verköstigung größerer Menschenmengen mit Brezeln, Fladenbrot oder Fleischpasteten. Für eine echte Pizza fehlte freilich die Tomate – sie wurde erst gut hundert Jahre später durch Kolumbus in Europa heimisch.

Einsatz im Unterricht – Didaktische Überlegungen

Durch eine nahezu allgegenwärtig erscheinende mediale Beschäftigung mit dem Mittelalter sind die 1000 Jahre zwischen 500 und 1500 nach Christus Teil einer populären Geschichtskultur geworden. Dies bedeutet für den Geschichtsunterricht, dass die Schülerinnen und Schüler vielfach inszenierte Vorstellungswelten über die Epoche mitbringen. Eine fachlich fundierte Mittelaltervermittlung kann diese zunächst als legitime Geschichtsbilder reflektierend zur Sprache bringen und von ihnen aus an das Selbstverständnis der Epoche heranführen. Die fachdidaktische Zielsetzung, ein Bewusstsein für die Andersartigkeit des „historischen Mittelalters“ zu entwickeln und zu schärfen, steuert in der vielfach beschwerlichen Auseinandersetzung mit den historischen Quellen die Erfahrung einer Diffe-renz zur modernen Welt an und ermöglicht es damit, den im Bildungsplan stets verlangten Bezug zur gegenwärtigen Lebenswelt herzustellen.

In diesem Kontext vermag der Film wertvolle Hilfestellung zu geben. Mit geringem Zeitaufwand erschließt er in einem Querschnitt das spätmittelalterliche „Weltereignis Konzil“ als facettenreiches Problemfeld, dessen Bedeutung auch emotional einsichtig gemacht wird. Die übersichtlich strukturierten Eckdaten zu Chronologie, entscheidenden Ereignissen und Personen in der ersten Szene geben eine Orientierungshilfe, auf die im Unterricht als Materialgrundlage zurückgegriffen werden kann. Der Feuertod des Jan Hus konfrontiert mit Fragen nach den Motiven einer unbarmherzigen Ketzer-Justiz wie nach den als revolutionär empfundenen Inhalten seiner Lehre.

Die anschauliche Inszenierung bürgerlicher Lebenswelten, besonders aber der Reiz der plastischen Rekonstruktion des Backofenwagens, dürften eine Neugier wecken, die sich motivierend auf den ganzen Lernprozess auswirken könnte. Der Film kann in verschiedenen Unterrichtsphasen eingesetzt werden. Als Einstieg verwendet, ermöglicht er vertiefende didaktische Anknüpfungen, später in der Unterrichtseinheit eingesetzt kann er weitergehende Fragen provozieren und die Schüler zur Beschäftigung mit diesen motivieren.

Männer und Frauen mit gefalteten Händen auf einer Straße. (Foto: SWR/WDR – Screenshot aus der Sendung)
Frommes Mittelalter: Prozession in der Stadt SWR/WDR – Screenshot aus der Sendung

Bezüge zum Bildungsplan

Bedient werden können Themenfelder des Bildungsplans 2004 für die Grundschule in Klasse 4 („Kulturphänomene und Umwelt / Heimatliche Spuren suchen und entdecken“), für die Haupt- beziehungsweise Werkrealschule in Klasse 9 („Macht und Herrschaft / Ständegesellschaft und Stadt im Mittelalter“), für die Realschule in Klasse 6 („Lebens- und Wirtschaftsformen der Vergangenheit / Die Ständegesellschaft im Mittelalter“), für das Gymnasium in Klasse 7 („Gesellschaft und Kultur des Mittelalters und der frühen Neuzeit“) und in Klasse 10 („Vielfalt und Einheit Europas; Aufbruch Europas in die Moderne“). Darüber hinaus eignet sich der Film grundsätzlich zum Einsatz in allen Schularten, wenn das Thema im Schulcurriculum seinen Platz findet.

Hinweise und Materialien

Den Anknüpfungsmöglichkeiten in allen Schularten entsprechend sind die vorgelegten Materialien auf unterschiedliche Lernniveaus hin konzipiert.
Methodischer Hinweis für Arbeitsblatt 4: Der zweite Aufgabenteil eignet sich für eine Partnerarbeit, die die Schülerinnen und Schüler dazu anhält, sich gegenseitig zu ergänzen und zu beraten. Anregungen dazu finden sich in „methodenpool.uni-koeln.de/download/partnerarbeit“.

Weiterführende Materialien und Angebote für die Behandlung im Unterricht finden sich unter:

Suchbegriff: Konstanzer Konzil

Alle Themen zum Schwerpunkt Das Mittelalter-Experiment

Wie wurde man Ritter?

Die Sendung stellt den „Traumberuf“ Ritter mit einer ausführlichen Jobbeschreibung vor und zeigt Höhepunkte und Gefahren einer Ritterlaufbahn. Das Anforderungsprofil war beeindruckend. Die Anwärter mussten sowohl Kampftechniken als auch höfische Benimmregeln erlernen, auf dem Lehrplan standen zusätzlich Lesen, Schreiben, Brettspiele, Tanz, Gesang und Reiten. Der Aufstieg vom Pagen zum Knappen bis zur Aufnahme in den Ritterstand dauerte sehr lange. Frühestens im Alter von 21 Jahren erhielten die jungen Männer die sogenannte „Schwertleite“. Ab nun galt es, sich im Kampf zu bewähren.

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Warum baute man Burgen?

Die Sendung untersucht den Aufbau und die Bedeutung der mittelalterlichen Burg und zeigt im Experiment, wie Angriff und Verteidigung funktionierten. Mittelalterliche Waffen waren überaus gefährlich. Das beweist der originalgetreue Nachbau einer Armbrust, die sich, in den Händen eines Experimentalarchäologen, als sehr effektiv erweist. Viele Experimente in der Sendung zeigen: In der mittelalterlichen Schlacht gab es weitaus mehr als Schwerterklirren und Kampfgeschrei

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Wie lebten die Frauen?

Die Sendung folgt den Spuren der Frauen, die zur Zeit des Konstanzer Konzils am Bodensee lebten. Welche gesellschaftlichen Rollen standen ihnen zu? Wovon lebten sie? Wie sah ihre Kleidung aus und welche Bedeutung hatten die Schnitte, Farben und Accessoires? Die Sendung geht diesen Fragen nach und begleitet Wissenschaftler und Spezialisten bei ihren Recherchen und Experimenten.

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Wovon lebten die Bauern?

Was wuchs auf den Äckern des Mittelalters? Und was kam auf den Tisch? Wie gesichert war die Ernährung? Welche Rolle spielte der Stand der Bauern im Mittelalter? Die Sendung zeigt, wie eng das Leben der Bauern und die Fragen der mittelalterlichen Ernährung miteinander verbunden waren und geht mit Archäobotanikern und Köchen auf Spurensuche.

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Welche Rolle spielte die Kirche?

Im Mittelalter waren Glaube und Kirche allgegenwärtig und bestimmten große Teile des Lebens. Beim Konstanzer Konzil trafen vor 600 Jahren weltliche und kirchliche Machtansprüche aufeinander. Das Gottesgnadentum, die Legitimation weltlicher Vormachtstellung, war durch die Existenz von drei Päpsten bedroht und damit schien auch die - über das gesamte Mittelalter gültige - Auffassung der Einheit kirchlichen und weltlichen Lebens bedroht. Der Film erklärt aus der zeitlichen Perspektive des späten Mittelalters die Bedeutung des mittelalterlichen Glaubens und spürt der Faszination religiöser Riten nach.

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Was war los beim Konstanzer Konzil?

Die Sendung begibt sich mitten hinein in das Mega-Event des Mittelalters: das Konstanzer Konzil von 1414 bis 1418. Es ging um die zukünftige Machtverteilung in der christlichen Welt. Religiöse, politische und soziale Gegensätze prallten aufeinander.
Eine detailgetreue 3D-Rekonstruktion des mittelalterlichen Konstanz macht das historische Ereignis greifbar. Die Chronik Ulrich Richentals dient dem Film als Wegweiser durch die Wirren des Konzils.

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Musik im Mittelalter

Der Film dokumentiert die Entwicklung der europäischen Musik des Mittelalters zwischen dem 9. und dem 15. Jahrhundert: von der Gregorianik über die Notre-Dame-Epoche bis zur Ars Nova, von der Einstimmigkeit zur Mehrstimmigkeit. Geistliche und weltliche Musik befruchteten sich gegenseitig und konnten sich nach Erfindung der Notenschrift überall in Europa verbreiten.

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Egbert Seng