Orientierung und Navigation bei Tieren
Überblick
Zug der Schmetterlinge
Wüstenameisen-Navigation
Navigationsmethoden
Navigation im Tierreich
Orientierung
und Navigation bei Tieren
Die
weltweiten Wanderungen verschiedenster Tiere gehören zu den interessantesten
Naturereignissen unserer Erde. Wer einmal im Spätsommer oder Herbst große
Vogelschwärme auf ihrem Zug in die warmen Winterquartiere im Süden beobachten
konnte, wird dieses eindrucksvolle Schauspiel wohl nicht so schnell vergessen.
Die Rekordhalter
Küstenseeschwalben wandern regelmäßig von ihren arktischen Brutgebieten
bis in antarktische Gewässer. Dabei legen sie im Jahr 30.000 km und mehr
zurück.
Vögel sind jedoch keineswegs die einzigen
Tiere, die regelmäßig weite Strecken auf unserem Planeten zurücklegen.
Ausgedehnte Wanderungen gibt es auch bei Insekten, Amphibien, Fischen
und Säugetieren.
Diese periodisch wiederkehrenden und zyklischen Wanderungen
innerhalb eines Habitats werden als Permigration bezeichnet. Um ihr jeweiliges
Ziel zu finden, müssen Tiere sich orientieren und navigieren. Navigation
meint in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, effektiv und sicher von einem
Ort zu einem anderen zu finden.
Welche Methoden von Tieren genutzt werden, soll in diesem Themenkreis
dargestellt werden. Neben dieser Einführung mit Fallbeispielen ( Schmetterlinge , Wüstenameisen ) und einem Überblick über Navigationsmethoden
von Mensch und Tier wird auf die Orientierungsleistung von Tieren
an Land, im Wasser und in der Luft anhand der folgenden Arten detaillierter
eingegangen:
Der lange Zug der Schmetterlinge
Jeden
Winter kann man über eindrucksvolle Bilder aus dem Hochland des nördlichen
Michoacan (Mexico) staunen: Millionen überwinternder Monarchfalter (Danaus
plexxipus) hängen in Trauben an den spärlichen Bäumen.
Im Frühjahr, wenn die Ruheplätze sich langsam erwärmen, ziehen die Tiere
in den Norden zu ihren Sommerquartieren im Südosten Kanadas bzw. Nordosten
der USA. Erst Ende des Sommers beginnen dann die Falter ihren Zug in den
Süden. Bei ihren Wanderungen legen die Schmetterlinge Wege von bis zu
8000 km zurück - eine eindrucksvolle Flug- und Orientierungsleistung.
Erstaunlich ist zudem die Tatsache, dass jedes Jahr
im Herbst völlig unerfahrene Monarchfalter nach Mexiko fliegen.
Vor dem Rückflug in den Norden werden die Schmetterlinge geschlechtsreif
und eine Massenbegattung setzt ein. Kaum im Norden angekommen, legen sie
ihre Eier ab und sterben dann. Die nachfolgende Sommerpopulation wird von
drei bis fünf Generationen aufgebaut. Erst die Adulttiere der letzten Sommergeneration
treten - ohne Erfahrung und ohne Führer - den langen Weg in den Süden an.

Ein einheimischer Saisonwanderer - der Admiral
Der Verbreitungsschwerpunkt des Admirals (Vanessa atalanta) ist in
Nordafrika. Von dort fliegen Wanderfalter im Frühjahr nach Mittel- und
Nordeuropa und legen dann Eier. Hier finden die Raupen des Admirals Brennesseln,
die sie als Futterpflanzen benötigen. Die adulten Schmetterlinge wandern
im Herbst wieder in den Süden.
Navigation
bei Wüstenameisen
Am Himmel kreist ein Mäusebussard auf der Suche nach Beute, Sperlinge
jagen Insekten, Honigbienen fliegen von Blüte zu Blüte und sammeln Nektar,
am Boden laufen Ameisen umher.
All diese Tiere betreiben die Nahrungssuche nicht nur für sich, im Nest
warten die Jungvögel, im Stock werden die Arbeitsbienen erwartet. (Überlebens-)
Wichtig ist hier ein effektiver und sicherer Rückweg. Und tatsächlich
leisten die Tiere dies.
Angesichts kurzer Entfernungen scheint die Erklärung einfach: Die Tiere
können ihr jeweiliges Ziel sehen, hören oder sie folgen chemischen Signalstoffen.
Diese Erklärungen versagen allerdings im Fall
der Wüstenameise Cataglyphis bicolor.
Der Lebensraum der Tiere zeichnet sich durch zweierlei besonders aus:
Zum einen gibt es durch den steten Wüstenwind keine verlässlichen optischen
Bezugspunkte, zum anderen herrschen am Boden Temperaturen von bis zu 70
Grad.
Die Wüstenameisen haben eine spezielle Orientierungsform entwickelt, die
es ihnen ermöglicht, den Rückweg zu ihrem Bau auch in einer eintönigen
Sandwüste ohne markante Punkte zu finden, und zwar so schnell, dass die
Tiere während der Nahrungssuche nicht überhitzen und sterben. Der Zoologe
Rüdiger Wehner und sein Team untersuchten die Navigation bei den Wüstenameisen
in einem mehrjährigen Forschungsprojekt.
Sie fanden dabei heraus, dass die Ameisen sich auf ihren Beutezügen bis
zu 200 Meter von ihrem Bau entfernen und mit bis zu einem Meter pro Sekunde
über den Sand laufen. Wie die nebenstehende Grafik 1 zeigt, ändern die
Insekten dabei häufig ihre Laufrichtung.
Nach Wehner müssen die Ameisen bei ihren Ausflügen drei Probleme bewältigen,
um auf dem Rückweg ohne Umwege ins Nest zu gelangen:
- die zurückgelegten Entfernungen messen
- die Winkel bei jeder Richtungsänderung bestimmen
- die Einzelmessungen in ihrem Gehirn zu einem
Vektor aus Richtung und Entfernung integrieren

Grafik1: Weg von Cataglyphis
bei der Nahrungssuche
(Pfeil zeigt die Bewegungsrichtung)

Dass die Ameisen dies leisten, zeigt Grafik 2: An die
Stelle des Zickzacks beim Suchen der Beute tritt beim Rückweg der gerade
(und schnelle) Weg. Wie ein unsichtbarer Faden weist der "errechnete"
Vektor den Rückweg zum Bau. Auf diese Art der Navigation wird detallierter
bei der Orientierung der Wüstenrennmaus eingegangen.
Ungeklärt ist bislang, wie die Wüstenameisen die bewältigten Entfernungen
bestimmen. Zunächst nahmen die Forscher an, dass der Energieverbrauch
den Tieren als Anhaltspunkt für die zurückgelegte Strecke dient. Entsprechende
Versuche erwiesen jedoch, dass dies nicht zutrifft. Eine weitere Hypothese,
die das Team demnächst überprüfen will: Vielleicht zählen die Tiere ihre
Schritte...
Gleichwohl ist
diese Vektornavigation der Wüstenameisen eindrucksvoll. Doch ob allein
mit diesem Prinzip beispielsweise der zielgerichtete jährliche Zug von
Küstenseeschwalben um die halbe Welt oder der Zug der Monarchfalter erklärt
werden kann, ist fraglich.
Fest steht, dass Tiere fähig sind, zur rechten Zeit die jeweils "richtige"
Richtung einzuschlagen und die korrekte Entfernung zu ihren Zielorten
zurückzulegen.
Allerdings stehen ihnen zu diesem Zweck nicht die
Mittel zur Verfügung, die der Mensch zur Orientierung einsetzt. Einer
Brieftaube mit Kompass und einem Wal mit Seekarte begegnet man eher selten...oder?
Navigationsmethoden des Menschen
im Überblick
Bekanntermaßen
ist der Mensch ein "Augentier". So ist die Sichtpeilung (Pilotieren)
die nächstliegende Orientierungsmethode des Homo sapiens. Diese i.d.R.
optische Orientierung ist bei guter Sicht unproblematisch und kommt im
Prinzip ohne weitere Hilfsmittel - bis auf gute Augen - aus.
Eine Voraussetzung für die Sichtpeilung ist das Vorhandensein von Landmarken.
Dazu zählen natürliche Landmarken (Berge, Flüsse) wie auch künstliche
Marken (z.B. ein weithin sichtbarer Leuchtturm und Leuchtfeuer an Landebahnen).
Ohne
Landmarken kommt die Koppel- oder Vektornavigation aus, die auch
bei schlechter Sicht, Nebel oder zur Erforschung von unbekanntem Gelände
eingesetzt werden kann. Hier misst ein Navigator Richtung und Entfernung,
die pro Etappe zurückgelegt wird. Er addiert die Streckenwerte aller zurückgelegten
Etappen fortlaufend und erhält so die augenblickliche Position relativ
zum Ausgangspunkt. Diese Orientierungsmethode erfordert jedoch Hilfsmittel:
Kompass, Uhr und Instrumente zur Messung von Geschwindungkeit und Kursversetzung.
Wie das Beispiel der Wüstenameise Cataglyphis zeigt, orientieren sich
auch Tieren nach dieser Navigationsmethode.
Bei der Astro-
oder Himmelsnavigation werden Informationen über Position, Richtung
oder Zeit aus Sonne, Mond, Sternen oder dem Himmel abgelesen. So kann
aus dem Stand des Polarsterns die Nordrichtung ermittelt werden, Längen-
und Breitengrad eines bestimmten Punktes kann man mit Hilfe des Sonnenstandes
oder der Sterne berechnen.
Um auf diese Weise zu navigieren, sind Hilfsmittel erforderlich: Eine
genau gehende Uhr, astronomische Karten und Instrumente wie z.B. ein Sextant.
Eine Ausnahme: 12.00 Uhr lokaler Ortszeit kann man auch ohne Uhr anhand
des höchsten Sonnenstandes bestimmen.

Der große Vorteil der Navigation mit elektronischen Hilfsmitteln ist
ihre Unabhängigkeit von Tageszeit und Wetter. So hilft das Sonar durch
das Aussenden von Ultraschall-Impulsen, "unsichtbare" unterseeische Objekte
- z. B. ein Riff - zu erfassen.
Mit Hilfe computergesteuerter Satellitensignale (GPS-System) werden Ortsbestimmungen
durchgeführt - egal, ob man sich gerade an Land oder auf See, in Australien
oder in Grönland befindet.
Die beschriebenen Methoden ergänzen sich gegenseitig
und im Notfall wird sicher jedes verfügbare Mittel eingesetzt. Unter günstigen
Bedingungen allerdings kann das eine oder andere Verfahren auch allein
ausreichen.
Navigationsmethoden im Tierreich
Es liegt nahe, dass Vertreter
der Fauna einige der von Menschen angewandten Navigationsmethoden nutzen.
So orientieren sich die meisten Tiere auch optisch. Küsten, Flüsse und
Gebirgsketten dienen beispielsweise Vögeln als natürliche Landmarken,
und Grauwale wandern die nordamerikanische Pazifikküste entlang. Wie schon
dargelegt, ist auch die Vektornavigation - auf die bei der Orientierung
der Wüstenrennmaus nochmals eingegangen wird - im Tierreich verbreitet.
Auf der anderen Seite verfügen wanderende Tiere über Navigationshilfen,
die uns nicht zur Verfügung stehen. Diese gründen sich oftmals auf spezialisierte
Sinnesorgane.
Polarisationsmuster
In normalem, unpolarisiertem Licht schwingt das elektrische
Feld zufällig in alle Richtungen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung
des Lichtes. Bei linear polarisiertem Licht hingegen schwingt das
elektrische Feld immer in die gleiche Richtung (Polarisationsrichtung).
Dies geschieht an jedem Punkt des Himmels. So entstehen die für
das menschliche Auge unsichtbaren Muster, die das gesamte Firmament
umspannen. Ursache der für das menschliche Auge unsichtbaren Polarisationsmuster
ist die Streuung des Sonnenlichts an den Luftmolekülen der Erdatmosphäre,
womit sich die Muster auch mit dem Stand der Sonne verändern. |
So unterscheidet sich die Leistungsfähigkeit unseres
Sehorgans von dem bei Insekten wie Bienen oder Ameisen erheblich. Diese
Tiere sehen mit ihren Komplexaugen im kurzwelligen Bereich weit besser
als das menschliche Linsenauge und können ultraviolettes Licht und die
Polarisationsrichtung des Sonneslichtes wahrnehmen.
Auch die Wüstenameise Cataglyphis nimmt das typische Muster polarisierten
Lichts wahr. Um den Sonnenstand entsprechend der Tageszeit zu interpretieren,
ist das Tier jedoch auf seine innere Uhr angewiesen. Zudem muss es über
den gesamten Weg der Nahrungssuche die Wanderung der Sonne von Ost nach
West berücksichtigen, um wieder zurück zu finden.
In Versuchen wurde mit Hilfe eines Spiegels der Sonnenstand aus Sicht
der Ameisen verändert. Die Folge: Die Tiere kamen um genau diesen Winkel
von ihrem Kurs ab.
Grundlegend
waren hier die Versuche des späteren Nobelpreisträgers Karl von Frischs,
der in den 50er Jahren herausfand, dass Honigbienen durch die Wahrnehmung
des polarisierten Lichts die Sonne als Kompass benutzen und auch bei wolkenbedecktem
Himmel die Orientierung nicht verlieren.
Die Existenz eines derartigen Sonnenkompasses ist mittlerweile bei vielen
Tieren nachgewiesen. Neben Insekten, Fischen, Krebsen, Spinnen, Amphibien
und Reptilien vermögen auch Vögel sich damit zu orientieren, worauf bei
der Orientierung von
Brieftauben näher eingegangen wird.
[ Real
Video: Bienenorientierung
]
Bienen orientieren sich mit Hilfe des polarisierten Sonnenlichts. Sie
übermitteln die Informationen über Nahrungsquellen mittels eines Schwänzeltanzes
an ihre Artgenossen.
Der Sonnenkompass zeigt einen Aspekt des im Tierreich
verbreiteten Himmelskompasses. Bei diesem Navigationssystem ermöglichen
es Bezugspunkte am Himmel, über große Entfernungen hinweg einem geraden
Kurs zu folgen. Neben der Sonne - die in der Nacht als Leitmarke fehlt
- sind es auch Sterne und Mond, die beim Navigieren helfen.

Geophysikalische Faktoren werden von manchen Tieren
wahrgenommen. So ist bekannt, dass sich Fische und Vögel auf ihren langen
Zugstrecken an vorherrschenden Winden und Strömungen orientieren. Daneben
wird als weitere Informationsquelle zur Navigation das Erdmagnetfeld genannt.
Dies soll bei der Orientierung der Brieftauben und der Wale besonders beleuchtet werden.
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