Blick von hinten auf Mann mit Kippa (Foto: Imago)

Weltreligionen

Judentum | Hintergrund

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Autor/in
Mark Christian Pollmeier
Sabrina Markau

Jüdisches Leben in Deutschland

Wohnten 1933, vor Hitlers Machtergreifung, im Gebiet des Deutschen Reiches weit über 500.000 Juden, waren es nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch wenige Tausend. Viele hatten das Land verlassen, die weitaus meisten waren dem nationalsozialistischen Völkermord zum Opfer gefallen. Doch bereits im Jahr 1945 wurden in Deutschland über 50 Gemeinden (wieder-)gegründet. Oft dauerte es von der Befreiung durch die alliierten Truppen bis zur Gründung einer jüdischen Gemeinde nur wenige Tage.

Jüdische Gemeinde in Deutschland

2013 lebten in Deutschland etwa 101.000 jüdische Gemeindemitglieder. Die größten jüdischen Gemeinden sind Berlin, München, Frankfurt am Main und Düsseldorf mit jeweils mehreren tausend Mitgliedern. Daneben gibt es eine Vielzahl kleinerer und kleinster Gemeinden im ganzen Land. Allerdings sind nicht alle Juden Mitglied in einer jüdischen Gemeinde.

Die meisten jüdischen Gemeinden sind orthodox. Daneben gibt es rund 20 sogenannte Reformgemeinden (auch liberale oder progressive Gemeinden genannt), etwa in Hamburg, Köln, München, Hannover und Mainz.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland

Dachorganisation der jüdischen Gemeinden ist der Zentralrat der Juden in Deutschland mit Sitz in Berlin. Der Zentralrat wurde am 19. Juli 1950 gegründet. Er ist die Nachfolgeorganisation des "Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens". In der Umbenennung – nicht deutsche Juden, sondern Juden in Deutschland – wird der tiefe Bruch deutlich, den die Nazidiktatur und der Holocaust zwischen Juden und Deutschen hinterlassen hat.

Soldaten in Uniform laufen an einer ausgebrannten Häuserfront entlang, vor den Häusern steht ein Panzer (Foto: National Archive)
1945 gab es kaum noch Juden in Deutschland

Zuwanderung osteuropäischer Juden seit 1989

Die jüdische Gemeinschaft Deutschlands ist eine der am schnellsten wachsenden weltweit. Seit der deutschen Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch der Sowjetunion nutzten Zehntausende Juden aus Osteuropa die Möglichkeit, nach Deutschland zu ziehen. Für die jüdischen Gemeinden war dies einerseits ein Segen. Denn ihre Mitgliederzahlen hatten bis Ende der 1980er Jahre kontinuierlich abgenommen und eine langfristige Zukunft der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland war unwahrscheinlich.

Doch die Integration der Zuwanderer stellte und stellt die jüdischen Gemeinden auch vor große Herausforderungen. Zum einen galt es, Sprachbarrieren zu überwinden, denn viele der Zugewanderten sprachen kein Deutsch.

Zum anderen war es für Juden in der Sowjetunion meist schwierig, wenn nicht gar unmöglich, ihren Glauben zu praktizieren, sodass viele Zuwanderer mit der jüdischen Religion nicht sehr vertraut sind. Die jüdischen Gemeinden begegnen solchen Problemen mit vielfältigen Angeboten, etwa mit Sprachkursen, mit Beratungsstunden und sozialer Unterstützung.

Jüdische Gemeinschaft und Staat

Wie die beiden christlichen Großkirchen ist auch der Zentralrat eine Körperschaft öffentlichen Rechts. Im Jahr 2015 gehörtem ihm 23 Landesverbände mit insgesamt 108 jüdischen Gemeinden an. Vorsitzender des Zentralrats ist seit 2014 Josef Schuster.

Der Zentralrat vertritt die jüdische Gemeinschaft in Deutschland auch politisch: Im Jahr 2003 schlossen Bundesregierung und Zentralrat einen Vertrag, der die kontinuierliche und verlässliche Zusammenarbeit beider Institutionen in sozialen, kulturellen und integrationspolitischen Belangen festschreibt. Die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland mit Sitz in Frankfurt ist der jüdische Beitrag zur freien Wohlfahrtspflege in Deutschland.

Zwei Frauen sitzen in der ersten Reihe einer Vortragsveranstaltung: die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch (r.), und die Leiterin der Gedenkstätte des faschistischen Konzentrationslagers Ravensbrück, Insa Escheba (Foto: dpa)
Von 2006 bis 2010 war Charlotte Knobloch (re.) Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland

Jüdischer Alltag in Deutschland – eine "besondere Normalität"

Als Jude oder Jüdin in Deutschland zu leben, ist noch immer nicht selbstverständlich. Es gibt, trotz aller Annäherung, Berührungsängste bei Juden wie Nichtjuden, das Potenzial für Missverständnisse ist hoch. Jüdische und nichtjüdische Deutsche seien sich fremd geblieben, lautete das Resümee des ehemaligen Zentralratsvorsitzende Ignaz Bubis am Ende seiner Amtszeit 1999.

Zwar gibt es in Deutschland inzwischen über 100 jüdische Gemeinden, Synagogen in nahezu allen größeren Städten, jüdische Schulen, Theater und Kulturzentren. Das jüdische Leben scheint gut 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs zurückgekehrt zu sein. Weil es jedoch regelmäßig zu antisemitischen Übergriffen, Bedrohungen und Beschimpfungen kommt, sind alle jüdischen Einrichtungen auf ständigen polizeilichen Schutz angewiesen.

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