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Tierische Flugpioniere | Hintergrund

Stand
Autor/in
Bernhard Maier

Evolution des Fliegens

Viele Tiere haben das „Abenteuer Fliegen“ gelernt. Die vielfältigen Variationen hierbei lassen die Fragen nach den Ursprüngen des Fliegens oder den ersten Fliegern aufkommen. Die Suche in der Vergangenheit führt in eines der großen Naturkundemuseen in Deutschland, das Senckenberg-Museum in Frankfurt. Dort erklärt Dr. Gerald Mayr, dass die rezenten Vögel die letzten Tiere waren, die das Fliegen lernten. Der wirkliche Anfang liegt vor zirka 350 bis 270 Millionen Jahren im Erdzeitalter Karbon – Perm. Die Urlibelle, Meganeuropsis, war mit 80 Zentimetern Flügelspannweite das größte Insekt, das jemals existiert hat. Etwa zeitgleich gingen auch die Urnetzflügler in die Lüfte. Beobachtungen an den Flügeln der Fossilfunde, im Film computeranimiert dargestellt, geben eine Vorstellung, wie diese Insekten wohl geflogen sind. Eine Häkchenleiste verband Vorder- und Hinterflügel, wodurch diese gemeinsam als eine Tragfläche fungierten. Diese Tatsache macht die Urinsekten zu Gleitfliegern mit schlechten Flugeigenschaften. Der weitere Weg ging wohl über den Flatterflug, wie heute noch bei den Skorpionsfliegen zu sehen, zu dem, was man „Luftakrobatik“ bei den rezenten Libellen nennt. Der Film lenkt den Blick auf die moderne, synthetische Theorie der Evolution, indem er der Frage nachgeht, wie die natürliche Selektion zu Flugfähigkeit führte und welche evolutionären Vorteile damit verbunden waren.

Ein Libellen-ähnliches Insekt sitzt auf einem Stein. (Foto: SWR/WDR)
Nachbildung eines Urnetzflüglers Bild in Detailansicht öffnen
Nachbildung eines fliegenden Dinosauriers mit sehr langen Flügeln. (Foto: Paul Moore, Dreamstime.com)
So könnte der Flugsaurier Pteranodon ausgesehen haben. Bild in Detailansicht öffnen
Eine Fledermaus bei Nacht – im Flug von vorn aufgenommen. (Foto: Geza Farkas, Dreamstime.com)
Fledermäuse gehören zu den echten Flugsäugetieren Bild in Detailansicht öffnen

Nach den Insekten waren die Reptilien die nächste Tiergruppe, die den Luftraum eroberte. Im ausklingenden Erdmittelalter, gegen Ende der Kreidezeit (vor 100 bis 70 Millionen Jahren) waren die Flugsaurier mit Spannweiten von kaum 20 Zentimetern bis beachtlichen zwölf Metern die Herrscher des Luftraums. Noch heute finden sich gleitfliegende Echsen (Flugdrachen, -gecko) in Asien Kamen also auch die Flugsaurier über das Gleiten zum Fliegen?

Nachdem die Saurier Ende der Kreidezeit (65 Millionen Jahre) ausgestorben waren, kam das Zeitalter der Säugetiere. Sie besetzten alle nun freien ökologischen Nischen und sind, so die Lehrmeinung, ebenfalls vom Gleitflug, wie ihn der rezente Hörnchenflugbeutler auf Neuguinea zeigt, zum aktiven Schlagflug gekommen. Heute bekannte echte Flugsäugetiere sind die über 1000 Arten der Fledertiere (Fledermausarten, Flughunde und so weiter) – sie alle haben aktiven Flug.

Unterricht

Der Filmkommentar ist an dieser Stelle äußerst geschickt reduziert. Schüler, die die synthetische Theorie der Evolution verstanden haben, müssten folgende Zusammenhänge erkennen und damit die entsprechenden Fragestellungen selbst finden zumindest aber lösen können. „Wenn Archäopteryx am Fuße der Evolution der Vögel steht, dann sind Vögel seit etwa 150 Millionen Jahren im Kampf um den Luftraum und haben damit einen Vorsprung von zirka 90 Millionen Jahren vor den Säugetieren. Die aktiv fliegenden, rezenten Säuger sind die Fledertiere. Diese haben die Ultraschalltechnik vor zirka 50 MillionenJahren erworben, also sehr früh in ihrer Stammesgeschichte. (Das kann durchaus als Indiz bewertet werden, dass die ökologischen Nischen, die der Luftraum tagsüber bot, besetzt waren.)“

Damit hat man mehrere Ansatzpunkte für Verständnisfragen. Waren die Vögel wirklich die letzte Tiergruppe (Klasse der Wirbeltiere), die den Luftraum erobert hat? Warum sind die rezenten Flugsäugetiere nachtaktiv? Könnte unter den heutigen Bedingungen eine neue Tiergruppe entstehen, die das Fliegen lernt?

Das Gesetz von Auf- und Vortrieb

Vogel im Flug – von der Seite aufgenommen. (Foto: SWR/WDR)
Vögel fliegen mittels Auf- und Vortrieb Bild in Detailansicht öffnen
Ein bräunlich-roter Schwan startet vom Boden aus. (Foto: SWR/WDR)
Der Schwan hat es beim Start recht schwer … Bild in Detailansicht öffnen
Otto Lilienthal auf einem Hügel beim Startversuch mit einem selbstgebauten Fluggerät, das vogelähnliche Flügel hat. (Foto: SWR/WDR)
Otto Lilienthal bei einem seiner ersten Flugversuche Bild in Detailansicht öffnen

Mit der Wirbeltierklasse der Vögel „beginnt“ das eigentliche Abenteuer des Fliegens. Die heute lebenden etwa 10 000 verschiedenen Vogelarten dokumentieren den Erfolg dieser Artisten am Himmel. Vögel gibt es in allen erdenkbaren Größen, vom hummelgroßen Kolibri bis zur 3,5 Metern Spannweite beim Albatros. Für alle gelten gleiche Evolutionsprinzipien: neue Nahrungsquellen, Flucht vor Feinden, aber auch trotz energieaufwendigen Starts eine im Vergleich energetisch kostengünstige (Lang-)Streckenfortbewegung. Schüler, die das verstanden haben, sind nun auch in der Lage „rückwärts zu denken“: Es gibt auch Vögel, die nicht fliegen können: Pinguin, Strauß, Emu, Nandu, Kiwi ... – unter welchen Voraussetzungen können solche Vögel nur entstanden sein?

Dass für alle fliegenden Tiere in der Natur die gleichen physikalischen Gesetze für Vortrieb und Auftrieb gelten, erklärt der Film mit kurzen Worten: Vortrieb durch den Flügelschlag, Auftrieb durch den Unterdruck an der gewölbten Flügeloberseite (Bernoulli-Prinzip).Damit kommt man zur entscheidenden Fragestellung, denn das Bernoulli-Prinzip setzt Luftströmung an den Flügeln voraus. Wo kommt diese Luftströmung her? Vom Anlauf (das aufwendige Starten eines Schwanes) oder vom Heruntersegeln (Gleitflieger)? Im Vergleich zwischen einem Flugzeug und einem Greifvogel im Gleitflug oder beim Landen wird deutlich gemacht, dass auch der Mensch mit seinen Techniken die physikalischen Naturgesetze einhalten muss. Zudem lässt sich hier auch der Blick auf die Bionik lenken.

Wie sehr der Mensch bemüht war/ist, das Fliegen zu lernen, und wie intensiv er dabei die Natur und ihre Erfindungen beobachtet und auswertet, zeigt eine kurze Sequenz über Otto Lilienthal und dessen erste Flugversuche. Lilienthals Flüge schließen an die Reihe der Insekten – Saurier und fliegende Säugetiere an: Allesamt eroberten den Luftraum im jeweils ersten Schritt als Gleitflieger.Wie aber war es beim Flug der Vögel?

Hyothesen und Interpretationen

Auf einer gelblichen Steinplatte ist der Abdruck eines Archäopteryx-Skeletts zu sehen. (Foto: SWR/WDR)
Skelett eines Archäopteryx

Im nun folgenden Teil des Filmes können die Schüler, ausgehend von den bisherigen Aussagen über die Eroberung des Luftraumes, das Entstehen, Überprüfen, Verwerfen und Neufinden einer wissenschaftlichen Hypothese nachvollziehen. Im Themengebiet Evolution ist dieser wissenschaftliche Vorgang mit Sicherheit an der Tagesordnung. Wenn die bewertbaren Fakten, die Fossilien, nur zufällig gefunden und unvollständig vorliegen, so können Entwicklungen eben auch nur unvollständig beschrieben werden. Dabei gilt: Die Hypothese mit den wenigsten Widersprüchen, wenigsten Lücken oder Zusatzannahmen ist die Hypothese mit der größten Wahrscheinlichkeit, ...bis ein neuer Zufallsfund oder eine weitere Erkenntnis eine andere Interpretation realistischer werden lässt.

Mit Archäopteryx, dem Urvogel, beginnt die Spurensuche in der Vergangenheit. Dr. Mayr zeigt am bisher letzten Fund, dem zehnten Exemplar, die wesentlichen Merkmale des fossilen Vogels. Trotz der vielen Kennzeichen für kleine Raubdinosaurier, zeigt Archäopteryx mit den Federn, das „Vogelmerkmal“. Wenn Archäopteryx, wie man heute annimmt, der Stammvater der Vögel ist, dann stammen die Vögel von kleinen Raubsauriern ab. Man könnte also annehmen, dass sie das Fliegen genauso wie ihre Verwandten gelernt haben: Über den Gleitflug, die Baumklettererhypothese.

Unterricht

Diese Theorie formulieren Schüler sehr schnell und werden auch im nächsten Abschnitt des Filmes in ihrer Annahme bestätigt. Eine kurze Sequenz über die Entstehung und ursprüngliche Bedeutung der Federn (Wärmeerhalt, Balz, Tarnung) verdeutlicht, dass Federn schon vorhanden waren, bevor sie erstmals zum Fliegen eingesetzt wurden. Eine computeranimierte Szene zeigt, wie man sich Archäopteryx und sein Fliegenlernen bis vor Kurzem zumeist vorgestellt hat - als Kletterer, der von Bäumen herabgleitet. Unterstützt wird diese Hypothese durch den Vergleich mit dem Hoatzin, einem rezenten Vogel, einem südamerikanischen Verwandten des Kuckucks. Mit den Bildern der Hoatzinküken, die mit bekrallten Flügeln in ihr Nest zurückklettern, scheint die Baumklettererhypothese bestätigt.

Hier bietet sich eine Unterbrechung des Filmes an, um die Ausgangsfragestellung wieder bewusst zu machen: Wie haben die Vögel das Fliegen gelernt?Diese Frage und ihre vermeintliche Lösung kann Einstieg in eine Internetrecherche oder anderes sein. Auf jeden Fall knüpfen sich verschiedene Fragen an, um die Baumklettererhypothese zu bestätigen. Zum Beispiel:

● Welche Alternative scheint jetzt noch möglich?

● Wie könnte man diese belegen?

● Was kann uns der fossile Archäopteryx im Vergleich zu heutigen Vögeln oder zu seinen Dinosauriervorfahren sagen?

Von Füßen und Federn

Grau-braunes Vogelküken in einem Nest. Es hat noch keine Federn, sondern nur einen Flaum. (Foto: SWR/WDR)
Hoatzin-Küken haben Krallen am Flügelende

Wie so oft liegt die Lösung im Detail und braucht Kommissar Zufall. Ein rezenter Vogelfuß mit der typischen 3:1-Zehenstellung zeigt, welche Bedingung zum Klettern und Sitzen im Geäst nötig war/ist: mindestens eine nach hinten gerichtete Zehe.Der letzte Archäopteryxfund zeigt allerdings genau dieses Merkmal nicht, hier kann die Zehenstellung als eindeutig seitlich (vergleiche Daumenstellung) beschrieben werden. Ein Fuß, der offensichtlich zum Klammergriff ungeeignet war, mit dem man aber ganz gut laufen kann. Die entsprechende computeranimierte Darstellung zeigt diese aktuelle Theorie.

Unterricht

Was der Hoatzin für die Theorie zuvor war, ist nun das Junge der Steinhühner für die aktuelle Vorstellung. Dieser noch flugunfähige Jungvogel flieht rennend und schlägt dabei mit den Flügeln, um Hindernisse zu überwinden. Damit kann man die Methode einer Hypothesenbildung mit den Schülern wieder aufgreifen. Welche Fakten gibt es, welche Belege kann man finden, gibt es Widersprüche oder Unklarheiten?

Aufmerksame Schüler werden die Krallen an den Flügeln des Archäopteryx und des Hoatzin diskutieren wollen. „Heutige Vögel verwenden einen Großteil ihrer Zeit auf Gefiederpflege... “ Diese Aussage von Dr. Mayr, sowie beispielsweise der Versuch, eine zerzauste, normale Deckfeder (Amsel, Krähe,...) mit einem Kamm zu glätten, erlaubt die gemeinsame Interpretation, diese Krallen könnten der Gefiederpflege gedient haben. Wenn dem so ist, dann müsste es auch Fossilien geben, die älter als Archäopteryx sind, und nicht mit befiederten Tragflächen, aber dennoch mit Federn und vielleicht anderenVogelmerkmalen ausgestattet waren. Mit Caudipteryx wird ein solches Fossil vorgestellt, das befiedert, aber nicht flugfähig war. Auch hier bietet eine ergänzende Recherche die Möglichkeit, weitere Merkmale wie den unbezahnten Schnabel oder die Ansammlung an Steinchen im Magen zusammenzustellen.

Nach heutiger Lehrmeinung haben zumindest die Vögel das Fliegen über das Laufen, Springen und Flattern gelernt.

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Bernhard Maier