Spuren der NS-Zeit

Die jüdische Hochspringerin Gretel Bergmann | Film

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Martina Bürkelbach
Artikel (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Artikel über die Aufnahme von Gretel Bergmann in die Olympiamannschaft in einer amerikanischen Zeitung Bild in Detailansicht öffnen
Eine Zeichnung eines Kugelstoßers, daneben steht "Sport erhält Gesund" und ein Wappen, auf dem RJF steht. (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten Bild in Detailansicht öffnen
Alfred Flatow (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Alfred Flatow, Mitglied der ersten deutschen Olympiamannschaft 1896 in Athen Bild in Detailansicht öffnen
Freiheitsstatue (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Die Freiheitsstatue Bild in Detailansicht öffnen
Elfride Kaun (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Die Hochspringerin Elfride Kaun heute Bild in Detailansicht öffnen
Margret Lambert (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Gretel Bergmann, heute Margret Lambert Bild in Detailansicht öffnen
Deutsche Metzgerei (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Margret Lambert mit ihrem Ehemann in einer Deutschen Metzgerei in New York Bild in Detailansicht öffnen
Jubel (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Jubelnde Zuschauer bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin Bild in Detailansicht öffnen
Elfride Kaun (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Elfride Kaun 1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin Bild in Detailansicht öffnen
Elfride Kaun (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Elfride Kaun beim Hochsprung Bild in Detailansicht öffnen
Dora Ratjen (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Dora Ratjen Bild in Detailansicht öffnen

Olympische Spiele 1936. Gretel Bergmann ist eines der großen Hochsprungtalente des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Sie ist Jüdin. Rückblickend erzählt Gretel Bergmann von ihrem Schicksal als Hochspringerin zu Zeiten des Nationalsozialismus.

Eine deutsche Gaststätte im New Yorker Stadtteil Queens. Gretel Bergmann sitzt mit ihrem Mann bei Wiener Rostbraten und Kalbshaxe. Margret Lambert, so nennt sich Gretel Bergmann heute, und ihr Mann Bruno stammen beide aus dem schwäbischen Laupheim bei Ulm und leben seit nunmehr 60 Jahren in Amerika. 1937 emigriert das Paar, nachdem Gretel Bergmann von den Nationalsozialisten aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen wurde. Die Flucht rettet ihr das Leben. Dennoch ist die Freiheit eine für sie schwer zu tragende Bürde. Gretel Bergmann lässt in Deutschland viel mehr zurück als nur ihre sportliche Karriere. Innerlich bleibt sie gefangen. Sie ist die Verletzte, die Verbitterte, auch heute noch.

Früher war das anders. Ihre Freundinnen beschreiben sie als junge Frau: fröhlich, sportlich hochbegabt. Gretel Bergmann verbringt eine unbeschwerte Jugend in dem idyllischen Laupheim. Damals lebten dort über 800 Juden. Sie sind fester Bestandteil der Stadt, tragen zur kulturellen Atmosphäre bei.

Gretel Bergmann in ihrer New Yorker Wohnung sieht sich das Video der Olympischen Spiele 1936 an: die Eröffnungsfeier, die Wettkämpfe. Ihre Verbitterung darüber, dass sie nicht teilnehmen durfte, kann sie nicht verbergen. Sie fühlt sich um die Erfüllung ihres Traumes betrogen. Das wird sie nie überwinden. Hätte sie die Medaille jedoch gewonnen, wäre sie umgebracht worden, meint sie bitter. Gerne hätte sie trotz allem den Olympiatrubel genossen.

Deutschland 1930: Gretel Bergmann trainiert nicht mehr in Laupheim, sondern im Ulmer Fußballverein, der ihr bessere Trainingsbedingungen bietet. Drei Jahre später muss sie von einem auf den anderen Tag den Verein verlassen, obwohl sie viele Medaillen für die Ulmer gewann. Wie konnte das von einem Tag auf den anderen geschehen? Die Deutsche Turnerschaft führt 1933 den Arierparagraphen ein. Sportler jüdischer Herkunft dürfen nicht mehr in arischen Vereinen Sport treiben, sondern müssen sich in rein jüdischen Vereinen engagieren. Den Juden wird sportliche Untüchtigkeit vorgeworfen, man untersagt ihnen die Teilnahme an Wettkämpfen. Damit entzieht man ihnen unter anderem die Möglichkeit, sich für die kommenden Spiele in Berlin zu qualifizieren. Nicht nur Gretel Bergmann, sondern auch viele andere international bekannte Athleten müssen ihre Vereine verlassen, so wie der berühmte Daviscupspieler Daniel Prenn, oder auch der Olympiasieger Alfred Flatow: Er verhungert 1942 im KZ Theresienstadt.

Gretel Bergmanns Bewerbung an der Hochschule für Leibesübungen in Berlin wird mit der Begründung abgelehnt, es sei unklug, zu diesem Zeitpunkt an der Hochschule aufgenommen zu werden. Im Oktober 1933 geht sie mit ihrem Vater zum Studium nach England. 1934 wird Gretel Bergmann britische Meisterin im Hochsprung. Dadurch erlangt sie internationales Ansehen. Natürlich erfahren auch die Deutschen von Gretels überdurchschnittlichen Leistungen. Der Reichssportführer erzwingt Gretels Rückkehr nach Deutschland. Inoffiziell lässt man ihre Eltern wissen, dass im Falle einer Weigerung die Familie erhebliche Repressalien zu befürchten hätte. Zurück in Deutschand wird Gretel Bergmann sogar Mitglied der Auswahl für die Olympischen Spiele. Als einzige Jüdin lädt man sie nach Ettlingen ins Olympische Trainingslager ein. Alle hoffen jetzt auf die Teilnahme von Gretel Bergmann an den Olympischen Spielen. Doch Gretel Bergmann hat Angst. Sie spürt die feindliche Atmosphäre im Trainingslager und weiß, dass sie hier unter Lebensgefahr trainiert. Sie rechnet täglich damit, deportiert zu werden. Die feindliche Atmosphäre macht sie wütend und genau das steigert ihre Leistungen. Gretel Bergmann will zeigen, was eine Jüdin leisten kann. Sie darf nur viermal in 2 Jahren an einem olympischen Trainingslager teilnehmen, also lediglich 16 Tage in 2 Jahren. Ihre Wut steigert ihre Leistungen auch ohne Trainingslager.

Eine Deutsche Metzgerei in Queens: dort kauft Margret heute am liebsten ein. Damals lebte sie deutschnational, als assimilierte Jüdin. Sie sagt: „Man ist erst Deutscher, dann Mensch, dann Jude gewesen. Heute hasse ich Deutschland nicht mehr. Dennoch gibt es zu viele schreckliche Erinnerungen, um dorthin zurückzukehren, nicht nur wegen Olympia, sondern vor allem wegen des Schicksals von Brunos Eltern.“

Der internationale Druck wächst. Das Ausland fordert die Aufstellung von Sportlern jüdischen Glaubens. Amerika droht mit Nichtteilnahme an den Spielen. Das Reichssportministerium lässt Gretel Bergmann daher wieder an nationalen Wettkämpfen teilnehmen. Mit dem deutschen Rekord von 1,60 m qualifiziert sich Gretel Bergmann 4 Wochen vor Olympia. Man lässt die USA in dem Glauben, dass Gretel Bergmann Starterlaubnis habe, sie ist die „Alibijüdin“, die einzige. Gretel Bergmann ist sich trotz der Nominierung immer bewusst, dass das Regime sie dennoch loswerden will. Ihre Angst bleibt. Am 15. Juli macht sich die amerikanische Mannschaft auf die Schiffsreise nach Europa. Einen Tag später erhält Gretel Bergmann einen Brief aus Berlin: die Absage für Olympia! Innerhalb der Mannschaft das Gerücht in die Welt gesetzt, Gretel sei verletzt.

Die Spiele finden ohne Gretel Bergmann statt: Bergmanns frühere Kollegin und Freundin Elfriede Kaun wird dritte. Dora Ratjen, die nur einen vierten Platz erringen kann, entpuppt sich zwei Jahre später als Mann. Ursprünglich sind drei Athletinnen vorgesehen, Kaun und Ratjen sind jedoch die einzigen die teilnehmen. Gretel Bergmann erhält eine Stehplatzkarte für die Spiele.

Heute, nach 60 Jahren lebt die Freundschaft von Elfriede Kaun und Gretel Begrmann durch einen Briefwechsel wieder auf. Rückblickend fragt sich Elfriede Kaun, wie man so blind sein konnte als junges Mädchen, wie man sich so ausschließlich für den Sport begeistern konnte, dass man sich für das andere nicht interessiert hat.

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Vater, Mutter, Hitler · Begeisterung und Zweifel

Anfang der 1930er Jahre geht es Deutschland schlecht, die politische Lage ist instabil. Als Adolf Hitler 1933 die Macht ergreift, setzen viele Menschen große Hoffnung in ihn.

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Vater, Mutter, Hitler SWR Fernsehen

Zwangsarbeit in den Steinbrüchen der Schwäbischen Alb

SWR-Autor Valentin Thurn befragte Augenzeugen: Ehemalige KZ-Häftlinge, Bewohner der umliegenden Dörfer - aber auch einen SS-Wachmann, der 54 Jahre nach dem Krieg zum ersten Mal an den Ort zurückkehrte, an dem er einen flüchtenden Häftling erschoss. Der Film erzählt von dieser traurigen Episode regionaler Geschichte - aber auch von der Geschichte des Erinnerns. Ein Erinnern, das erst seit wenigen Jahren möglich ist - in wiederkehrenden Begegnungen von Dorfbewohnern mit ehemaligen KZ-Opfern.

Die Idee zu diesem Film entstand im Zusammenhang mit einer Produktion des Schulfernsehens: "Jurassic Alb – Der schwäbische Ölschiefer" in der Reihe Geomorphologie. Dort war in einem kurzen historischen Rückblick bereits auf die „NS-Vergangenheit“ des Ölschieferabbaus eingegangen worden, die ganze geschichtliche und politische Tragweite konnte dort verständlicherweise nicht beleuchtet werden. Darum hat sich die Redaktion entschlossen, aus diesem „Kapitel“ einen eigenen Film zu produzieren und ist auf die Suche nach weiteren Zeitzeugen und historischem Material gegangen.

Mit beiden Filmen "Das Unternehmen Wüste“ und "Jurassic Alb“ liegen nun zwei aufeinander bezogene Medien vor, die sich hervorragend für einen fächerverbindenden Unterricht in Geschichte/Gemeinschaftskunde - Geographie - Religion/Ethik eignen.

Die Mordfabrik Grafeneck auf der Schwäbischen Alb

Schloss Grafeneck auf der Schwäbischen Alb. Hier starben zwischen Januar und Dezember 1940 etwa 11 000 Menschen durch Kohlenmonoxidgas. Grafeneck war damit der erste Ort im nationalsozialistischen Deutschland, an dem Menschen systematisch und „industriell" ermordet wurden.
Die Morde von Grafeneck gehören zu den schrecklichsten Verbrechen der Nationalsozialisten. Die Opfer, meist körperlich oder psychisch beeinträchtigt, stammten aus Krankenanstalten und Heimen im heutigen Baden-Württemberg, in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Morde waren Teil der von den Nationalsozialisten sogenannten „Aktion T4" oder „Euthanasie-Aktion". Sie verdeutlichen die menschenverachtende Politik und Ideologie des NS-Regimes und seiner Verantwortlichen. Diese mordeten, weil sie Nahrungsmittel sparen wollten, Platz für Militärlazarette benötigten und weil sie sich von der Ermordung der Schwachen und Kranken eine Gesundung des „Volkskörpers" versprachen. Die Opfer bezeichneten sie als „lebensunwerte Ballastexistenzen" und „seelenlose Menschenhülsen".
Im Zentrum dieser Dokumentation stehen drei Opfer und deren Hinterbliebene: Emma Dapp, deren Enkel Hans-Ulrich eine Biografie seiner Großmutter geschrieben hat; Martin Bader, dessen Sohn Helmut das Leben des Vaters recherchiert hat; und Dieter Neumaier, der als Kind ermordet wurde und dessen älterer Bruder ihn nie vergessen hat.

Spuren der NS-Zeit SWR Fernsehen

Auf Wiedersehen im Himmel · Die Sinti-Kinder von der St. Josefspflege

Am 9. Mai 1944 werden 35 Waisenkinder, Sinti und Roma, aus dem Kinderheim der St. Josefspflege in Mulfingen bei Schwäbisch Hall nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Die Leitung des kirchlich geführten Kinderheims leistet bei der Deportation keinen Widerstand. Stattdessen fordert sie wegen der entstehenden Unterbelegung neue Kinder beim bischöflichen Ordinariat in Rottenburg an.

Der Völkermord an den Sinti und Roma

Jedes Jahr, am 2. August gedenken Sinti und Roma in Auschwitz ihrer ermordeten Angehörigen. Der Film zeichnet die wichtigsten Stationen einiger Leidenswege nach, fünf Überlebende berichten über ihr Schicksal: Hildegard Franz, deren Mann und drei Kinder in Auschwitz ermordet wurden; Mano und Hugo Höllenreiner, die gerade mal zehn Jahre alt waren, als sie deportiert wurden und die in Auschwitz erfahren mussten, welche Folgen die Experimente des Lagerarztes Josef Mengele hatten; Lily van Angeren, die als Lagerschreiberin die Namen aller Toten registrieren musste. Und Josef „Muscha“ Müller, der in einer Pflegefamilie aufwuchs und nicht ahnte, dass seine leiblichen Eltern Sinti waren. Er hat überlebt, weil seine Pflegeeltern ihn monatelang in einer Gartenlaube versteckt hielten und so dem Zugriff der Behörden entzogen.
Heute gedenken Sinti und Roma aus ganz Europa am 2. August aller ihrer ermordeten Angehörigen. Jedes Jahr kommen sie nach Auschwitz-Birkenau zu einer Totenfeier, und für viele der Überlebenden ist es bis heute schwer, an den Ort ihres Leidens zurückzukehren. Im Sommer 1944 wurde das „Zigeunerlager“ aufgelöst, die noch arbeitsfähigen Sinti und Roma in andere Lager weiterverschleppt. Alle verbliebenen Sinti und Roma wurden danach, in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944, ermordet. Es waren 2897 Männer, Frauen und Kinder.

Spuren der NS-Zeit SWR

Die Erinnerung bleibt · Kinder im Zweiten Weltkrieg

Kriegskinder des Zweiten Weltkriegs – auch nach 70 Jahren prägen die Erinnerungen an die Erlebnisse von damals ihr Leben und ihre Gefühle. Manches lässt sie nicht los, hat sich förmlich in ihre Seelen eingebrannt.

Die Propaganda-Maschine · Über die Mobilmachung von Gefühl und Verstand

Der Film stellt die Mittel, Techniken und Geschichte der Propaganda vor. Umfangreiches Archivmaterial zeigt, wie sehr sich über nationale, zeitliche oder auch politische Grenzen hinweg Propagandaziele und -techniken ähneln.

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Martina Bürkelbach