Der Quastenflosser mit seinen Fleischflossen und dem charakteristischen Fleckenmuster (Foto: mauritius)

Quastenflosser | Hintergrund

Stand
Autor/in
Bastian Rothe

Interview mit der Biologin Karin Hissmann

Die Biologin Karen Hissmann hat viele Expeditionen von Hans Fricke begleitet. Als wissenschaftliche Koordinatorin organisiert sie die weltweiten Einsätze des einzigen deutschen bemannten Forschungstauchbootes, das seit 2006 am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel stationiert ist.

Die Biologin Karen Hissmann steht vor dem Forschungstauchboot "Jago" (Foto: privat)
Karen Hissmann organisiert als wissenschaftliche Koordinatorin die Einsätze der "Jago"
Der erste Fund eines Quastenflossers war eher zufällig. Wie lange hat es gedauert, Quastenflosser in ihren Lebensräumen zu finden?

Auch nach seiner wissenschaftlichen Wiederentdeckung 1938 vor Südafrika waren viele Quastenflosser-Funde mehr oder weniger zufällig. Meist waren es einheimische Fischer, denen der große Fisch an die Leine oder ins Netz ging. In Südafrika vergingen mehr als 60 Jahre, bis dort erneut eine kleine Gruppe in tiefen Canyons vor der Nordostküste gefunden wurde. Vor Tansania wurde der Fisch erst 2003 entdeckt, nachdem die Küstenfischer zum Fischfang Tiefwasserstellnetze einsetzen. Dass Quastenflosser auch außerhalb des Indischen Ozeans vorkommen, wissen wir erst seit 1997 durch einen Zufallsfang in Indonesien.

Eine stabile Population lebt an den steilen Hängen der Vulkaninsel Grande Comore im westlichen Indischen Ozean. Dort haben meine Kollegen Hans Fricke und Jürgen Schauer 1987 den Fisch zum ersten Mal lebend in seiner natürlichen Umgebung beobachtet und gefilmt. Danach waren wir viele Male dort, um die Lebensweise der ursprünglichen Fische zu studieren.

Ein gelbes Tiefseetauchboot mit der Aufschrift "Jago" wird vom Forschungsschiff zu Wasser gelassen (Foto: WDR)
Mit diesem kleinen Tauchboot beobachten die Forscher den Quastenflosser
Warum ist es so schwierig, Quastenflosser in ihren Lebensräumen zu beobachten?

Der Quastenflosser lebt in Wassertiefen unterhalb von 100 Metern. Man braucht also ein Tauchboot, einen ferngelenkten Roboter oder besonders ausgerüstete und trainierte Tiefwassertaucher, um ihn zu beobachten. Unter Wasser ist die Suche nach dem Fisch oft mühsam. Der nachtaktive Fisch lebt tagsüber versteckt in Höhlen, die es zunächst zu finden gilt. Und nicht an allen bisher bekannten Fundorten ist er zahlreich.

In Indonesien hat es drei Wochen gedauert, bis wir mit dem Tauchboot den ersten Quastenflosser fanden, weit entfernt von der Stelle, wo zwei Exemplare von Fischern in Stellnetzen gefangen worden waren.

In einem Stein ist der Abdruck eines Quastenflossers zu sehen (Foto: dpa)
Ein versteinerter Vorfahre des heute lebenden Quastenflosser wurde in Bad Sachsa gefunden
Warum ist der Quastenflosser so interessant für die Evolutionsbiologie?

Durch Fossilfunde wissen wir, dass die ersten Quastenflosser-Arten vor rund 400 Millionen Jahren auftraten, wobei die meisten Arten bis zum Ende der Kreidezeit vor zirka 70 Millionen Jahren wieder ausgestorben waren. Der heute noch lebende Quastenflosser ist ein lebendes Fossil, das heißt, sein Grundbauplan hat sich im Vergleich zu seinen fossilen Verwandten kaum verändert. Der heutige Quastenflosser lebt in Meerestiefen unterhalb von 100 Metern unter relativ konstanten Umweltbedingungen. Viele seiner ausgestorbenen Verwandten hingegen waren Flach- oder Brackwasserbewohner.

Auffällig an allen Quastenflossern sind die gestielten muskulösen Flossen. Auch der lebende Quastenflosser hat sie. Das innere Knochenskelett der Flossen ähnelt dem der Gliedmaßen der ersten Landwirbeltiere. Sie gelten daher auch als Vorläufer der frühen Landwirbeltierbeine. Die Flossen moderner Knochenfische sind ganz anders aufgebaut. Seine Brust- und Bauchflossen bewegt der Quastenflosser im Kreuzgang, also schon wie die Landwirbeltiere. Allerdings setzt er sie nur zum Schwimmen ein. Er läuft damit nicht über den Meeresboden, wie ursprünglich einmal angenommen.

In mehr als hundert Metern Tiefe schwimmt ein Quastenflosser über dem Meeresboden und leuchtet im Licht der Kamera dunkelblau (Foto: dpa)
Der Quastenflosser hat sich perfekt an die Dämmerungszone des Meeres angepasst
Warum hat der Quastenflosser so lange überlebt? Ist bekannt, ob und wie er sich verändert hat?

Der Quastenflosser, wissenschaftlich Latimeria, wird zwar als altertümlicher Fisch bezeichnet, doch das ist etwas irreführend. Er ähnelt in vielen morphologischen Merkmalen den ursprünglichen Quastenflossern, die wir aus Fossilfunden kennen und die stammesgeschichtlich den ersten Landwirbeltieren nahe stehen. Doch seit wann es speziell die Gattung Latimeria tatsächlich gibt, wissen wir nicht.

Latimeria hat sich perfekt an ein Leben in der Dämmerungszone des Meeres angepasst, wo die Lebensbedingungen relativ stabil sind und wo die Konkurrenz zwischen den Arten gering ist. Die Gattung musste sich nicht an stetig wechselnde Umweltbedingungen anpassen. Die trägen Fische leben tagsüber versteckt in Höhlen. Sie haben einen sehr niedrigen Stoffwechsel, sparen also Energie, und kommen mit wenig Nahrung aus. Feinde haben die bis zu 180 Zentimeter großen Fische wahrscheinlich kaum zu fürchten.

Wie lässt sich bestimmen, ob ein Tier oder Fossil ein Brückentier ist oder nicht?

Brückentiere oder Mosaikformen sind Lebewesen, die äußere Merkmale von zwei unterschiedlichen Tiergruppen besitzen. Ein berühmtes Beispiel ist der Urvogel Archaeopteryx mit seinen Vogel- und Reptilienmerkmalen. Er ist verallgemeinert gesagt eine Übergangsform zwischen landlebenden Dinosauriern und ursprünglichen Vögeln. Der amphibienähnliche Ichthyostega ist ebenfalls so ein Bindeglied. Er lebte vor rund 400 Millionen Jahren und besitzt Amphibien- und Fischmerkmale. Er hat bereits richtige Gliedmaßen und nicht nur knochenverstärkte Flossen wie die Quastenflosser. Unter den sehr ursprünglichen Quastenflossern gibt es eine Form, den Panderichthys, bei dem die vorderen Flossen schon sehr Bein-ähnlich waren und mit denen der Fisch sich vom Boden abstützen konnte.

Ein versteinerter Abdruck zeigt das Skelett des Archaeopteryx (Foto: WDR)
Der Abdruck des Archaeopteryx zeigt die Merkmale von Vögeln und Reptilien
Ist der Quastenflosser ein Brückentier?

Als man den heute noch lebenden Quastenflosser entdeckte, glaubten einige Wissenschaftler zunächst, das Bindeglied zwischen den Fischen und den ersten primitiven Landwirbeltieren gefunden zu haben, aber das ist nicht der Fall. Der heutige Quastenflosser ist viel zu kompakt und schwer, als dass seine kurzen Flossen ihn tragen könnten. Er ist eher ein Seitenast der Evolution und kein direkter Vorfahre der ersten Landwirbeltiere.

2006 wurde ein Fossil entdeckt, der Tiktaalik, von dem man annimmt, dass er mit seinen Brustflossen bereits gut über den Boden robben konnte. Er hat ein Schulter-, Ellbogen- und Handgelenk, aber noch keine Finger oder Zehen. Der Tiktaalik ist stammesgeschichtlich nicht weit von den ursprünglichen Quastenflossern entfernt. Vielleicht waren die Tiktaaliks die ersten noch fischähnlichen Wirbeltiere, die den so genannten "Landgang" der vierbeinigen Wirbeltiere vollzogen haben.

Das Gehörsteinchen des Quastenflossers sieht aus wie eine dünne weiße halbrunde Platte (Foto: WDR)
Das Gehörsteinchen dient den Forschern zur Altersbestimmung
Welche Geheimnisse birgt der Quastenflosser heute noch?

Ein Rätsel ist der Verbleib und die Lebensweise der Jungtiere. Bisher ist es erst einmal gelungen, ein einzelnes Jungtier von 30 bis 40 Zentimeter Länge zu filmen. In den Höhlen, in denen sich die erwachsenen Tiere tagsüber aufhalten, haben wir bisher keine kleinen Quastenflosser gesehen. Sie wachsen offenbar getrennt von den Erwachsenen auf, die die Neugeborenen wahrscheinlich fressen würden, weil sie sie nicht von Beutefischen unterscheiden können.

Wann die Tiere geschlechtsreif werden und wie oft sie im Laufe ihres Lebens Junge bekommen, ist auch nicht bekannt. In gefangenen toten Weibchen hat man bis zu 26 fast "geburtsreife" Jungtiere gefunden. Quastenflosser sind lebendgebärend. Wo die Geburten stattfinden, wissen wir nicht.

Wie alt ein Quastenflosser werden kann, ist auch noch nicht bekannt. Wir vermuten 80 bis 100 Jahre, wenn nicht sogar mehr. Das wollen wir nun anhand der Gehörsteinchen herausfinden, die einen regelmäßigen ringförmigen Zuwachs haben und sich zur Altersbestimmung eignen.

Was weiß man über ihre Lebensweise?

Quastenflosser verlassen in der Dunkelheit ihre Höhlen, um einzeln auf Fischjagd zu gehen. Wie sie die Höhlen in der Dunkelheit vor der Morgendämmerung wieder finden, welche Orientierungsmechanismen sie haben, ist bisher nicht erforscht und auch sehr schwierig herauszufinden. In den Höhlen finden wir tagsüber oft mehrere Tiere.

Quastenflosser sind über viele Jahre standorttreu, das heißt, man findet sie immer wieder in denselben Höhlen und auch oft dieselben Tiere. Ob diese sich untereinander individuell kennen, wissen wir nicht. Vielleicht handelt es sich sogar um Familiengruppen mit festen sozialen Strukturen, was sich aber leider an Äußerlichkeiten oder dem Verhalten nicht erkennen lässt.

Mehrere Quastenflosser schwimmen nebeneinander an einer Felswand (Foto: WDR)
Die Fische tragen ein individuelles Fleckenmuster
Wie viele lebende Arten gibt es?

Bisher sind zwei Latimeria-Arten bekannt, die sich äußerlich nicht unterscheiden und auch genetisch sehr ähnlich sind. Latimeria chalumnae, der afrikanische Quastenflosser, lebt im westlichen Indischen Ozean mit einzelnen bekannten Populationen auf den Komoren-Inseln, vor Südafrika, Mosambik, Madagaskar, Tansania und wahrscheinlich auch Kenia. Latimeria menadoensis wurde rund 10.000 Kilometer entfernt vor der Küste Sulawesis in Indonesien gefunden. Wie weit der asiatische Quastenflosser in dem riesigen Seegebiet verbreitet ist, wissen wir nicht.

Es ist gut möglich, dass Quastenflosser auch andernorts im Indischen Ozean oder auch im westlichen Pazifik in geeigneten Habitaten leben. Es wäre spannend herauszufinden, ob es Überschneidungsgebiete zwischen den beiden Arten gibt. Sie unterscheiden sich auch nicht in ihrer Lebensweise. Wahrscheinlich sind die heutigen Quastenflosser in kleinen Populationen doch weiter verbreitet als wir ursprünglich annahmen.

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Bastian Rothe