schwarz weiß Bild von Soldaten im Krieg (Foto: SWR – Screenshot aus der Sendung)

Krieg der Träume

Überleben: 1918 – 1919 | Hintergrund

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Autor/in
Dirk Praller

Matrosenaufstand 1918

Kriegsschiff SMS Kaiser Wilhelm II. in Kiel, 1914 (Foto: Imago, United Archives)
Kriegsschiff SMS Kaiser Wilhelm II. in Kiel, 1914 Bild in Detailansicht öffnen
Friedhof HamburgOhlsdorf (Foto: Imago, Hauke Hass)
Gefallene des Ersten Weltkriegs, Friedhof Hamburg/Ohlsdorf Bild in Detailansicht öffnen

Im vierten Kriegsjahr hat sich die Ernährungslage für viele Deutsche verschlechtert. Ein Grund dafür ist die englische Seeblockade; die Kaiserliche Marine, deren kostspielige Aufrüstung Kaiser Wilhelm II. persönlich vorangetrieben hatte, konnte sie nicht durchbrechen. Jetzt soll die Hochseeflotte, die im ganzen Krieg nie, die ihr zugedachte wichtige Rolle spielte, zu einer letzten, militärisch sinnlosen Schlacht gegen die Royal Navy auslaufen.

Aber mit zunehmender Kriegsdauer ist die Kluft zwischen Offizieren und Mannschaften gewachsen. Anders als der militärischen Führung steht den einfachen Seeleuten der Sinn nicht nach Heldentod und „ehrenvollem Untergang“. Angesichts der im Herbst 1918 feststehenden Niederlage weigern sich die Matrosen, sich verheizen zu lassen. Einer von ihnen ist Hans Beimler (*1895), der seit Kriegsbeginn auf einem Minensuchboot dient.

Der junge Obermatrose und seine kriegsmüden Kameraden revoltieren gegen die Zustände bei den Seestreitkräften und den kaiserlichen Obrigkeitsstaat. Sie organisieren sich in Räten, fordern Veränderungen in der Marine wie die Aufhebung der Presse- und Briefzensur, die Freilassung bereits verhafteter Kameraden und das Ende des Krieges. Zugleich fordern sie – heute selbstverständliche demokratische Grundrechte wie freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit und die Abschaffung des Dreiklassen-Wahlrechts, das Wohlhabende begünstigte und große Teile der Bevölkerung, sowie alle Frauen von Wahlen ausschloss. Ihre Parolen finden sofort Widerhall. Soldaten und Arbeiter solidarisieren sich, erst in Kiel, dann im ganzen Land. Die Aufstandsbewegung entwickelt eine Dynamik, die selbst die Meuterer überrascht. Überall regt sich der Wunsch nach Veränderung. Zwei Millionen Tote und 2,7 Millionen Verwundete und Verstümmelte hat das Gemetzel an den Fronten gekostet; zahllose Familien haben Väter, Ehemänner oder Brüder verloren, Hunderttausende sind verhungert. Die Lebensbedingungen von Millionen Menschen haben sich nachhaltig verschlechtert und die sozialen Spannungen verschärft. Die politische und militärische Führungsschicht ist diskreditiert.

Mittler zwischen Front und Heimat

Soldaten im Schützengraben. (Foto: Imago, Leemage)
Italienische Soldaten im Schützengraben 1915 Bild in Detailansicht öffnen
Feldpostkarte von 1917 (Foto: Imago, alimdi)
Feldpostkarte vom 17.2.1917 Bild in Detailansicht öffnen
britisches Werbeplakat vom 1916 (Foto: Imago, United Archives)
„Diese Frauen leisten ihren Beitrag. Lerne, Waffen herzustellen“, (Aufruf an Frauen zur Mitarbeit in der Rüstungsindustrie), britisches Werbeplakat vom 1916

Wie groß der Hass der Mannschaften auf ihre Vorgesetzten ist, erlebt auch der britische Presse-Offizier Charles Edward Montague (*1867). Obwohl Pazifist, hat der renommierte Journalist als Freiwilliger an der Front gekämpft, ehe er zum militärischen Geheimdienst wechselte und Chefzensor der Frontberichterstatter wurde. Er weiß, wie die Soldaten über den Krieg denken; zugleich sorgt er dafür, dass ihre Briefe nur zensiert in die Heimat gelangen.

Alle Kriegführenden Staaten muten ihren Bürgern nur so viel Wahrheit über das Grauen an der Front zu, dass sie nicht Gefahr laufen, deren Unterstützung zu verlieren. Der Erste Weltkrieg ist der erste Krieg, der auch mit den Mitteln der modernen Massenmedien geführt wird. In allen Ländern bemühen sich Propaganda-Abteilungen um die Hebung der Moral der eigenen Truppe und Bevölkerung, während sie versuchen, die Moral der Gegner auszuhöhlen.

Kriegsende und Ende des Deutschen Kaiserreichs

SPD Politiker Philipp Scheidemann (Foto: Imago, United Archives International)
SPD Politiker Philipp Scheidemann ruft auf dem Westbalkon des Reichstages die Republik aus, 9.11.1918 Bild in Detailansicht öffnen
Karl Liebknecht (Foto: Imago, United Archives International)
Karl Liebknecht auf der Friedenskundgebung in Berlin-Treptow am 3. September 1911 Bild in Detailansicht öffnen

Die Arbeiter treten in den Generalstreik; Polizei und Militärbehörden leisten fast nirgends ernsthaften Widerstand. Bald liegen die militärische und ein Teil der politischen Macht in den Händen der Arbeiter- und Soldatenräte. Am 9. November wird Kaiser Wilhelm II. zur Abdankung gezwungen. Das Deutsche Kaiserreich - 1871 nach einem siegreichen Krieg gegründet - kollabiert am Ende eines verlorenen Krieges. Philipp Scheidemann (SPD) ruft die Deutsche Republik aus, Karl Liebknecht (USPD) die Freie sozialistische Republik Deutschland.

Als stärkste politische Kraft stellen die Sozialdemokraten mit dem „Rat der Volksbeauftragten“ die provisorische Regierung, die den Übergang zur Weimarer Republik gestaltet. Ihre erste Amtshandlung ist die Unterzeichnung des Waffenstillstands am 11. November in Compiègne. Die Oberste Heeresleitung um General Ludendorff, die den Kriegsausgang zu verantworten hat, stiehlt sich aus der Verantwortung. Sie lanciert die so genannte Dolchstoßlegende, wonach das „im Felde unbesiegte Heer“ von „vaterlandslosen“ Politikern verraten worden sei.

Die Anfänge der Weimarer Republik

Die provisorische Regierung nimmt die Forderungen der Soldaten-Räte auf und führt u. a. das Frauenwahlrecht und den Achtstundentag ein. Zu einem revolutionären Schnitt kommt es nicht. Aus Furcht vor der radikalen Linken kollaborieren Ebert und Scheidemann mit dem Militärapparat und der kaiserlichen Verwaltung, obwohl beide keinerlei Loyalität gegenüber dem neuen Staat empfinden. Im Januar wird die linke Opposition blutig niedergekämpft. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die im Dezember die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) gegründet haben, werden von Marine-Offizieren ermordet. Bei den ersten Wahlen zur Nationalversammlung (19. Januar 1919) wird die SPD stärkste Partei, verliert aber viele Anhänger, die ihr das Bündnis mit den alten Eliten übelnehmen. Im Versuch, den Bürgerkrieg zu verhindern, bereitet sie ihn vor. Militante Auseinandersetzungen werden die junge Republik lange begleiten. Für Hans Beimler, der in die KPD eintritt, bleibt die Revolution unvollendet; ihrem Erfolg wird er sein Leben widmen.

Rosa Luxemburg, die auf einer Bühne steht und redet. (Foto: Imago, United Archives International)
Rosa Luxemburg spricht auf der ersten internationalen Frauenkonferenz 1907 in Stuttgart Bild in Detailansicht öffnen
Hans Beimler (Foto: Imago,WHA United Archives)
Hans Beimler, Kommunistischer Reichstagsabgeordneter und Kommissar im spanischen Bürgerkrieg, Madrid 1936 Bild in Detailansicht öffnen

Das Ringen um eine neue Ordnung

Auch in anderen Ländern schwindet die Macht der alten Autoritäten dramatisch. Sechzehn europäische Staaten werden 1919 zu demokratischen Republiken oder parlamentarisch kontrollierten Monarchien. Das Ringen um eine neue Ordnung prägt das Leben der Menschen, die gerade noch den Frieden bejubelt haben; das Alte liegt am Boden, das Neue ist noch im Werden. Die jungen Demokratien stehen von Beginn an unter Druck. Während die völkische Rechte ihr Heil in Nationalismus und Restauration sucht, inspiriert die Russische Oktoberrevolution die radikale Linke. Die unsichere Zukunft, die Unzulänglichkeiten der Realpolitik und die Schwäche der neuen Machthaber begünstigen konkurrierende Utopien und Gesellschaftsentwürfe.

Demonstration in Petrograd (Foto: Imago, Russian Look)
Demonstration anlässlich der Oktoberrevolution in Petrograd (Sankt Petersburg) 10.11.1917 Bild in Detailansicht öffnen
Lenin bei einer Festrede (Foto: Imago, Russian Look)
Lenin bei einer Festrede zum 1. Jahrestag der Oktoberrevolution in Moskau, 1918 Bild in Detailansicht öffnen

Die Spanische Grippe

Das Rote Kreuz (Foto: Imago, United Archives International)
Das Rote Kreuz während der Spanischen-Grippe-Epidemie in St. Louis (Missouri) 1918

Der Krieg und sein Ende sind eine historische Zäsur und für viele Menschen ein biographischer Einschnitt, der Ängste weckt, aber auch Chancen für einen Neuanfang birgt. So etwa für Marie-Jeanne Picqueray (*1898). Im September 1918 liegt die 20-Jährige noch im französischen Saint Nazaire im Krankenhaus und ringt um ihr Leben. Sie ist an der Spanischen Grippe erkrankt. Dieser Influenza-Pandemie, die sich in drei, kurz aufeinander folgenden Wellen über die ganze Welt ausbreitet, fallen zwischen 1918 und 1920 weltweit 25 bis 50 Millionen Menschen zum Opfer; die meisten sind zwischen 20 und 40 Jahre alt, und damit ungewöhnlich jung. Ihr Ursprung liegt vermutlich in den USA. Ihren Namen erhält sie aber aufgrund von Presseberichten aus dem neutralen Spanien, wo es, anders als in den Staaten, die in den Krieg involviert sind, keine Zensur gibt. Sie beeinträchtigt die Kampfmoral der deutschen Truppen, deren Großoffensive im Juli 1918 – laut General Ludendorff – auch deshalb wirkungslos verpufft. Anders als der Maler Egon Schiele, der Soziologe Max Weber oder auch Frederick Trump, der Großvater von Donald Trump, die die Spanische Grippe nicht überleben, wird sich Marie-Jeanne Picqueray erholen. Nach ihrer Genesung trifft sie eine Entscheidung, die ihre Zukunft verändern wird. Sie trennt sich von ihrem gewalttätigen Ehemann und geht nach Paris.

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