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Krieg der Träume

Verrat: 1936 | Hintergrund

Stand
Autor/in
Dirk Praller

Deutschland 1936

Postkarte: Autobahnbau (Foto: imago, Arkivi)
Postkarte Adolf Hitler 1936; anlässlich der Fertigstellung der ersten 1000 Kilometer Autobahn

1936 ist Hitler auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Macht. Das nationalsozialistische Deutschland ist nach dem Führer- und Gefolgschaftsprinzip organisiert, das alle Lebensbereiche durchdringt. Gesellschaftliche Gegensätze sollen in der Volksgemeinschaft aufgehoben werden; wer im Sinne der NS-Ideologie kein Volksgenosse ist, wird ausgegrenzt und verfolgt. Die 1935 verabschiedeten Nürnberger Gesetze ächten und diskriminieren jüdische Bürger und sind ein weiterer Schritt hin zu deren physischer Vernichtung.
Die Zahl der Arbeitslosen, die Anfang 1933 bei über sechs Millionen lag, geht stark zurück. Eine bessere Konjunktur, die Einführung der Allgemeinen Wehrpflicht (1935), vor allem aber die massive Aufrüstung tragen dazu bei, die Folgen der Weltwirtschaftskrise zu überwinden. Das trägt zur Akzeptanz des Regimes bei, auch wenn die Gewerkschaften zerschlagen, Arbeitnehmerrechte eingeschränkt und die niedrigen Löhne auf dem Niveau von 1932 eingefroren werden. 1937 erreicht Deutschland als eines der ersten Länder fast wieder Vollbeschäftigung. Von heute aus gesehen, ist klar, dass die Beseitigung der Arbeitslosigkeit nur ein Nebenprodukt der Kriegsvorbereitung war. Der Reichsarbeitsdienst, der ab 1935 für Männer zwischen 19 und 24 Jahren, und ab 1939 für Frauen obligatorisch ist, verpflichtet junge Menschen zum Bau von Autobahnen und Kasernen. Das Arbeitsbeschaffungsprogramm ist aber, ebenso wie die Aufrüstung, volkswirtschaftlich unproduktiv. Das Reich verschuldet sich in bisher ungekanntem Ausmaß.

Bei den Olympischen Spielen von Berlin 1936 zeigt der NS-Staat der Welt ein auf Hochglanz poliertes Bild von Deutschland, das viele ausländische Besucher beeindruckt und das Ausland über Hitlers wahre Absichten täuscht. Tatsächlich bereitet sich das Land längst auf einen Krieg vor. 1936 befiehlt Hitler, die Wehrmacht müsse in vier Jahren einsatzfähig, die Wirtschaft in vier Jahren kriegsfähig sein.

Olympische Spiele Berlin, August 1936 (Foto: imago, United Archives International)
Olympische Spiele Berlin, August 1936 Bild in Detailansicht öffnen
Olympiastadion, 1936 (Foto: imago, United Archives International)
Olympische Spiele Berlin, 1936, Blick ins Stadion und auf die Führerloge im Hintergrund Bild in Detailansicht öffnen
Hitler mit seiner britischen Verehrerin Unity Mitford (Foto: imago, United Archives International)
Hitler mit seiner britischen Verehrerin Unity Mitford im Englischen Garten in München, 1937 Bild in Detailansicht öffnen
Parade der Wehrmacht (Foto: imago, sepp spiegl)
Parade der Wehrmacht am 7. Reichsparteitag, Nürnberg, 1935 Bild in Detailansicht öffnen

Unity Mitford (*1914) begleitet die Entwicklung Nazi-Deutschlands mit dem größten Wohlwollen. Die Tochter des englischen Barons Redesdale genießt das Aufsehen, das sie als „Muse des Führers“ erregt. Für sie ist ein Traum in Erfüllung gegangen; regelmäßig trifft sie Adolf Hitler, der von Mitfords intimer Kenntnis der britischen Politik beeindruckt ist. Mitford spricht sich für eine Annäherung zwischen dem Deutschen Reich und England aus, wo Hitlers Antikommunismus viele Anhänger findet. Zeitweise wird sie deshalb - grundlos - als Spionin verdächtigt. Ihre Identifikation mit den Nazis geht so weit, dass sie den britischen Botschafter in München mit dem Hitlergruß begrüßt. An der Seite von Julius Streicher, dem Herausgeber der NS-Parteizeitung Der Stürmer, hält sie antisemitische Hetzreden. Während sie dafür in Großbritannien kritisiert wird, schenkt ihr Hitler ein goldenes Parteiabzeichen. Im September 1935 nimmt sie mit ihren Eltern am 7. Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg teil. 1936 begleitet die „englische Walküre“ Hitler zur Eröffnung der Olympischen Spiele in Berlin.

Der Spanische Bürgerkrieg 1936 - 1939

Der spanische Diktator Francisco Franco (Foto: imago, United Archives International)
Der spanische Diktator Francisco Franco (1892 – 1975) in Ceuta (span. Stadt an der nordafrik. Küste) zu Beginn des Spanischen Bürgerkriegs 1936

In Spanien, das seit dem Sturz der Monarchie 1931 politisch zutiefst gespalten ist, putscht General Francisco Franco 1936 gegen die gewählte Volksfront-Regierung, die sich aus Vertretern verschiedener sozialistischer, kommunistischer und anarchistischer Parteien zusammensetzt. Der Spanische Bürgerkrieg bricht aus. Er spiegelt die ideologischen Konflikte in Europa wider und gilt vielen als Vorspiel eines bevorstehenden Entscheidungskampfes zwischen Faschismus und Kommunismus.

Während die Demokratien Frankreich und England neutral bleiben, unterstützen das faschistische Italien und Nazi-Deutschland Franco militärisch. Die Kampfflieger der deutschen Legion Condor greifen in alle wichtigen Schlachten ein und zerstören u. a. 1937 die baskische Stadt Guernica. Die Spanische Republik wird von Freiwilligen aus der ganzen Welt unterstützt. In diesen Internationalen Brigaden kämpfen etwa 30.000 Mann, darunter 5.000 Deutsche; einer davon ist Hans Beimler (*1895), der sich nach der Flucht aus dem Konzentrationslager Dachau und Stationen in Prag und Moskau, dem Thälmann-Bataillon anschließt. Die Kampfeinheit ist nach dem 1933 verschleppten und 1944 im KZ Oranienburg getöteten Vorsitzenden der KPD benannt; sie besteht aus rund 1.500 Deutschen, Österreichern und Schweizern. Beimler, der schon viele politische Niederlagen hinnehmen musste, ist begeistert vom gemeinsamen Kampf der Linken. Aber seine Hoffnungen erfüllen sich - einmal mehr - nicht. Die hoch motivierten Freiwilligen haben keine Kampferfahrung; ihre Ausrüstung ist mangelhaft. Ihre einzige Hoffnung ist die Unterstützung durch die Sowjetunion. Nach längerem Zögern versorgt Stalin die Spanische Republik zwar mit Flugzeugen, Panzern, Waffen, Munition und Offizieren; aber sein Engagement, das er sich von den Vertretern der Republik mit den Goldreserven Spaniens bezahlen lässt, erreicht nie das Ausmaß, das nötig gewesen wäre, um der Republik zum Sieg zum verhelfen. Die Politik der SU stärkt die spanischen Kommunisten, deren stalinistischer Kurs in blutige Kämpfe mit Sozialisten und Anarchisten mündet; das schwächt die Volksfront zusätzlich. Der Bürgerkrieg endet 1939 mit dem Sieg Francos. Hans Beimler wird schon am 1. Dezember 1936 in Madrid erschossen; um seinen Tod ranken sich Spekulationen. War es ein Scharfschütze der Franquisten? Steckte der sowjetische Geheimdienst dahinter? Die DDR ehrte Beimler jedenfalls als verdienten Kommunisten und Kämpfer gegen den Faschismus.

Der spanische Diktator Francisco Franco (Foto: imago, United Archives International)
Der spanische Diktator Francisco Franco (1892 – 1975) in Ceuta (spanische Stadt an der nordafrikanischen Küste) während des Spanischen Bürgerkriegs 1936 Bild in Detailansicht öffnen
Kommunistische Demonstranten mit Stalin-Plakaten (Foto: imago, United Archives International)
Kommunistische Demonstranten mit Stalin-Plakaten während des spanischen Bürgerkriegs Bild in Detailansicht öffnen

Schauprozesse in Moskau

Opfer der Hungersnot (Foto: imago, ITAR-TASS)
Opfer der Hungersnot, Ukraine, 1932-1933 Bild in Detailansicht öffnen
Menschen, die vor der Hungersnot in der Ukraine fliehen (Foto: imago, ITAR-TASS)
Menschen, die vor der Hungersnot in der Ukraine fliehen, 1932/1933 Bild in Detailansicht öffnen
Russische Bauern (Kulaken) müssen im Gefangenenlager (Gulag) arbeiten, 1930 (Foto: imago, United Archives International)
Russische Bauern (Kulaken) müssen im Gefangenenlager (Gulag) arbeiten, 1930 Bild in Detailansicht öffnen

In der Sowjetunion beherrscht zeitgleich der Kampf gegen die parteiinterne Opposition die Innenpolitik. Josef Stalin, der als Generalsekretär der KPdSU und Ministerpräsident diktatorisch regiert, propagiert den „Sozialismus in einem Land“. Die Sowjetunion soll eine wirtschaftlich unabhängige Industrie-Nation und militärisch hochgerüstete Weltmacht werden; der Lebensstandard ist niedrig. Die rücksichtslose Kollektivierung der Landwirtschaft, gigantische Bauvorhaben und der Ausbau der Schwerindustrie, vor allem aber der Kampf gegen Konkurrenten im Land und in der eigenen Partei kosten Millionen Menschen das Leben.

Bei den Moskauer Prozessen werden zwischen 1936 und 1938 viele hohe Partei- und Staatsfunktionäre und Kampfgefährten Lenins, die zur alten Garde der Bolschewiki gehörten, wegen angeblicher staatsfeindlicher Aktivitäten angeklagt und verurteilt. Es gibt 50 Todesurteile. Nahezu alle gegen die Angeklagten erhobenen Vorwürfe werden später widerlegt; die Verurteilten rehabilitiert. Die öffentlichen Schauprozesse sind der Auftakt zum Großen Terror, mit dem Stalin die Macht der Partei stärkt und seine Alleinherrschaft sichert. Im Rahmen der so genannten Säuberungen werden Millionen Menschen ermordet oder in Arbeitslager verschleppt. Unter den Opfern sind nicht nur (vermeintliche) politische Gegner und ausländische Kommunisten, die in die Sowjetunion geflohen waren, sondern auch ethnische Minderheiten (Tschetschenen, Krimtartaren oder Wolgadeutsche), Priester, Mönche und Kulaken (Großbauern).

Stepan Podlubny (*1916), der Sohn eines ukrainischen Kulaken, ist mit seiner Mutter aus der Ukraine geflohen, die als Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik seit 1922 Teil der neu gegründeten Sowjetunion ist. Während des so genannten Holodomor, einer zwischen 1932/33 in der Ukraine wütenden Hungersnot, sind Millionen Menschen ums Leben gekommen. Ob Stalins Politik die Hungersnot vorsätzlich verursachte, oder ob sie wetterbedingten Missernten und der Zwangskollektivierung geschuldet war, ist in der Forschung umstritten. Klar ist, dass Millionen Menschen verhungern, während die - ebenfalls von den Folgen der Weltwirtschaftskrise betroffene - Sowjetunion 1933 1,8 Millionen Tonnen Getreide exportiert. Als Podlubny nach Moskau kommt, herrscht dort ein Klima der Angst. Er muss seine wahre Identität verbergen. Um zu überleben, lässt sich der Medizinstudent als Spitzel vom Geheimdienst NKWD, dem Vorläufer des KGB, anwerben. Als immer mehr Kommilitonen und schließlich auch seine Mutter verschwinden, nimmt Podlubny eine zunehmend kritische Haltung gegenüber dem stalinistischen System ein. Im Herbst 1939 wird er selbst verhaftet und muss für mehrere Jahre in ein Arbeitslager. Im System der Arbeits- und Straflager, dem so genannten GULAG, sind zwischen 1930 und 1953 mindestens achtzehn Millionen Menschen inhaftiert, von denen – nach Schätzungen – etwa 2,7 Millionen aus unterschiedlichen Gründen starben. Podlubny hält seine Erfahrungen in einem Tagebuch fest.

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