Grafik: Mensch mit Gehirn (Foto: WDR/Zoonar/Surakan Thaomontri)

Dein Gehirn | Hintergrund - Hirnstrukturen im Wandel

Stand
Autor/in
Christina Lüdeke

Umbauprozesse in der Pubertät

Unser Gehirn ist ständigen Veränderungen unterworfen. Dass sich durch das alltägliche Lernen neue neuronale Netzwerke bilden, spüren wir kaum, größere Veränderungsprozesse dagegen bemerken wir sehr wohl – zum Beispiel in der Pubertät. In dieser Lebensphase finden im Gehirn wesentliche "Umbaumaßnahmen" statt. "Man kann sich die Struktur im Gehirn in etwa wie einen Baum mit vielen Verästelungen vorstellen", erklärt Dr. Karina Weichold vom Lehrstuhl für Entwicklungspsychologie an der Universität Jena. "In der Pubertät sterben kleinere Äste ab, größere werden stärker. Dadurch kann man einerseits effektiver denken und ist andererseits in der Lage zu fortgeschritteneren Denkprozessen."

Kinder sehen eher Einzelheiten und Details. Durch die veränderten Strukturen im Gehirn wird dagegen für Jugendliche ein Denken in Meta-Ebenen möglich. Die Folge: Was Kinder in ihrer Umwelt noch als gegeben hinnehmen, wird von Jugendlichen eher hinterfragt – was oft zu Konflikten mit der Familie und dem Umfeld führt. Diese Umbauarbeiten im Gehirn beginnen übrigens bereits im Alter von etwa neun Jahren – oft längst, bevor das Erwachsenwerden körperlich sichtbar ist.

Ein Kind mit Handy in der Hand sitzt auf dem Schoß von einem älteren Mädchen, ebenfalls mit Handy in der Hand (Foto: WDR)
In der Pubertät finden große Umbaumaßnahmen im Gehirn statt

Veränderung durch besondere Beanspruchung

Während die Veränderungen des Gehirns innerhalb der Pubertät grundsätzlich jeden Menschen betreffen, sind andere Prozesse individuell unterschiedlich und werden von den jeweiligen Lebensumständen geprägt. Vor allem wird das bei besonderer Beanspruchung einzelner Bereiche deutlich, wie es bei manchen Berufsgruppen vorkommt. So benutzen Geiger beispielsweise ihre linke Hand zum Greifen der Töne. Bei ihnen sind die Bereiche des Gehirns, die für Bewegung und Gefühl der Finger der linken Hand zuständig sind, größer als bei anderen Menschen. Das heißt, es sind mehr Neuronen für die linke Hand vorhanden, weil durch das tägliche Üben unzählige Impulse von der Hand am somatosensorischen Kortex ankommen. Dies ist der Bereich im Gehirn, der unter anderem für die haptische Wahrnehmung zuständig ist, also für den Tastsinn. Die Neuronen aber sind nicht von Geburt an auf die Repräsentation eines bestimmten Bereiches festgelegt, sondern können sich je nach individuellen Lebensumständen in ihrer Funktion anpassen.

Das sieht man beispielsweise, wenn jemand durch einen Unfall seine Hand verliert. Zunächst hat derjenige das Gefühl, er spüre sie noch. Im Lauf der Jahre nimmt das ab, denn bei den Zellen kommen keine Impulse der Hand mehr an. Dadurch repräsentieren immer weniger Neuronen diese Hand. Nach und nach können diese "arbeitslosen" Neuronen neue Funktionen benachbarter Bereiche übernehmen, zum Beispiel vom Gesicht. Dabei kann es in der Übergangsphase zu merkwürdigen Empfindungen kommen: Läuft dem Betroffenen eine Träne die Wange hinunter, so spürt er diese zum einen auf seiner Wange. Zum anderen aber kann es sein, dass er das Gefühl hat, die Träne laufe über seine nicht mehr vorhandene Hand. Die Erklärung dafür: Einzelne Neuronen sind sozusagen gleichzeitig für Hand und Gesicht zuständig. Sie müssen nach und nach umlernen, bis sie nur noch die neue Funktion erfüllen.

Die Grafik zeigt die Regionen für Sehen, Hören und Bewegung im Gehirn (Foto: WDR)
Bei Geigern sind manche Bereiche des Gehirns stärker ausgeprägt

Profis reagieren anders als Laien

Bei Musikern ist nicht nur eine Anpassung der Neuronen im motorischen und somatosensorischen Kortex messbar. Auch das Hörzentrum in den Schläfenlappen reagiert anders als bei musikalischen Laien. Bis in die 1980er Jahre hinein waren Forscher der Annahme, Sprache werde vorwiegend im linken Schläfenlappen verarbeitet und Musik im rechten. Diese Annahme ist inzwischen widerlegt worden. Wissenschaftler stellten fest, dass die Unterscheidung von Tonhöhen und Lautstärke zum Beispiel grundsätzlich in der Hörrinde beider Hirnhälften stattfindet. Wenn es aber um die Wahrnehmung von Melodien geht, unterscheidet sich die Gehirnaktivität von Berufsmusikern und Laien voneinander. Bei Laien wird hier vor allem die Hörrinde auf der rechten Seite des Gehirns aktiv. Bei Berufsmusikern dagegen konnten Wissenschaftler eine verstärkte Aktivität auf beiden Seiten feststellen. Musiker scheinen also die "Arbeit" des Musikhörens im Gehirn auf beide Hirnhälften zu verteilen.

Auf einer Kernspintomographie-Aufnahme ist ein Gehirn im Querschnitt zu sehen (Foto: WDR)
Mithilfe einer Kernspintomographie lässt sich sichtbar machen, welche Bereiche des Gehirns gerade arbeiten

Frontaler Kortex aktiv beim Schach – Kleinhirn beim Fußball

Bei Strategiespielen wie Schach sind ebenfalls deutliche Unterschiede der Gehirnaktivitäten zwischen Profis und Laien zu erkennen. Hier ist bei Amateuren vor allem der mittlere Schläfenlappen aktiv, in dem komplexe visuelle Strukturen analysiert werden. Beim Schachmeister wird dagegen vor allem der frontale Kortex aktiv sowie eine Region in den Scheitellappen, die für das Erkennen geometrischer Strukturen zuständig ist. Die Forscher gehen daher davon aus, dass im Gehirn des Schachmeisters Konstellationen aus früheren Spielen blockweise im Langzeitgedächtnis abgespeichert sind. Der Laie dagegen muss die Situation immer wieder neu bewerten.

Ähnlich wie bei Musikern und Schachspielern sind auch bei anderen Berufsgruppen Veränderungen des Gehirns durch starke Beanspruchung einzelner Bereiche nachweisbar. So gibt es beispielsweise bei Profifußballern eine intensivere Ausprägung der Bereiche für die Füße im motorischen Kortex. Das allein genügt aber noch nicht, um aus einem passablen Kicker einen Torschützenkönig zu machen: Wichtig im Fußball ist die Aktivität des Kleinhirns. Es ist für die unbewussten Bewegungsabläufe zuständig. Dabei berücksichtigt das Kleinhirn auch Details wie die Ermüdung der Muskulatur nach einer Stunde Spielzeit. Diese gilt es zu kompensieren, wenn der Schuss trotzdem ein Treffer werden soll. Fällt das Kleinhirn aus, funktionieren gewohnte Bewegungsabläufe nicht mehr. Größere Mengen Alkohol zum Beispiel führen zu vorübergehenden Störungen des Kleinhirns: Der Betreffende schwankt und kann viele Bewegungen nicht mehr koordinieren.

Der Dortmunder Fußballspieler Mario Götze am Ball (Foto: ddp)
Bei Fußballprofis wie Mario Götze sind der motorische Kortex und das Kleinhirn besonders ausgeprägt

Nervenzellen können nachwachsen

Auch Krankheiten führen zu Veränderungen im Gehirn. Besonders deutlich sichtbar sind diese Veränderungen bei Alzheimerpatienten, deren Gehirn im Verlauf der Krankheit immer stärker schrumpft. Zunächst sind besonders Bereiche der Schläfenlappen und des limbischen Systems beeinträchtigt, vor allem Hippocampus und Amygdala. Im Verlauf der Krankheit schrumpft jedoch auch die Großhirnrinde. Es entstehen immer größere mit Hirnwasser gefüllte kleine Kammern in den Organen, die sich Ventrikel nennen. Andere Erkrankungen wie beispielsweise Depressionen hinterlassen ebenfalls sichtbare Spuren im Gehirn. Je länger ein Patient depressiv ist, desto kleiner ist bei diesem auch sein linker Hippocampus. Ausgelöst wird dies vermutlich durch Stresshormone im Blut. Ist der Hippocampus jedoch zu klein, fällt es schwer, Stimmungen zu kontrollieren oder Pläne zu machen. Es ist in diesem Fall zwar möglich, das Gehirn mit Medikamenten zur Neubildung von Nervenzellen anzuregen. Das braucht allerdings einige Zeit. Unter anderem deswegen gehen Mediziner davon aus, dass Psychopharmaka erst nach mehreren Wochen ihre volle Wirkung entfalten – eben erst, wenn im Gehirn neue Nervenzellen nachgewachsen sind. Und auch dann gelingt es nicht immer, eine Depression zu bekämpfen: Zahlreiche verschiedene Botenstoffe im Gehirn wirken sich auf die Stimmung eines Menschen aus, daher passt nicht jedes Antidepressivum zu jedem Patienten.

Die Grafik zeigt einen Ausschnitt aus den tieferen Schichten des Gehirns, der Hippocampus ist blau unterlegt (Foto: WDR)
Bei Depressionspatienten schrumpft im Laufe der Erkrankung der Hippocampus.

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Christina Lüdeke