|
20. bis 26. Mai: Die Jungvögel
entwickeln sich von Tag zu Tag enorm. Sie züngeln, putzen sich, hacken,
schlagen mit den Flügeln. Und Klaus Ruge ist immer dabei.
26.
Mai - 22. Lebenstag. Die Mittelspechte lassen mir keine Ruhe. Ich
will auf jeden Fall dabei sein, wenn sie die Höhle verlassen. Nach
dem Theaterbesuch fahre ich noch in den Favoritepark. Am Parkeingang -
ein Marder huscht an meinem Auto vorbei. Am Waldstudio fiepen die jungen
Waldkäuze. Ich mag diese Tiere besonders, wenn sie sich nicht an
unsern Spechtkindern vergreifen. Um 5:10 Uhr sitze ich im Waldstudio.
Es wird ein schöner Tag, kühl aber sonnig. Die Spechtkinder
erscheinen noch lebendiger als sonst, sie züngeln, putzen sich, hacken,
schlagen mit den Flügeln. Ich meine, es ist Lisa, die sich besonders
weit hervor lehnt. Wenn Fritz und Friederike herbeifliegen, sich an der
Rinde festkrallen, pressen sich die Kinder an den Höhlenboden. Sobald
aber Vater oder Mutter den Kopf ins Höhlenloch stecken, sperren sie
die Schnäbel auf. Markus filmt Hirsche, Leute, Eichhörnchen,
Kleiber und mich. Gegen Abend werden Fritz und Friederike faul. Eine ganze
Stunde lang müssen die Kinder fasten. Bis zur Brust beugen sie sich
heraus. So spät sollten sie die Höhle nicht verlassen. Neben
dem Waldstudio finde ich Speiballen von den Waldkäuzen. Käuze
können Knochen und Wolle nicht verdauen und speien sie aus. Ich zerpule
das Gewölle. Oberarmknochen, Beinknochen, Wirbelknochen von Rötelmäusen
erkenne ich - keine Vogelschädel.
[ Real-Video:
26.
Mai [0:44 Min.]
25.
Mai 21. Lebenstag. Es regnet. Mai, kühl und nass, füllt dem
Bauern Scheuer und Fass, heißt es. Eigentlich müsste ich Fritz und Friederike
föhnen, so nass sind ihre Köpfe. Vor allem der Wuschelkopf von Fritz.
Sie bringen ganze Büschel von langbeinigen Schnaken herbei. Die Schnakenbeine
spieken in alle Richtungen. Auch rote Käfer sind dazwischen. Franz hat
im Buch nachgelesen. Sie heißen Scharlachrote Feuerkäfer. Erscheinen im
Mai und Juni und seien flugfaul gut für die Spechte. Ich stapfe
durch brusthohe Brennesseln, streife unter Ahornen hindurch, finde Tausende
von kleinen Schnaken. In einem Eschenstamm klopft es. Das muss ein Specht
sein. Seinen Höhleneingang finde ich nicht. Nur eine schöne, gebänderte
Hainschnecke wandert den Stamm herab. Fürs Tagebuch will ich ein Foto
machen, laufe zum Waldwagen, um die Kamera zu holen. Ich komme zurück.
Die Schnecke ist fort - von wegen Schneckentempo. An der Eiche geht mir
ein Mittelspecht ins Netz. Ein schönes, altes Männchen mit Ring. Ich kann
Jürgen nicht nach der Ringnummer fragen. Er ist verreist. Der Ring erscheint
mir fremd. Woher mag der Specht wohl angereist sein? Ich bin pitschnass.
Um 17:00 Uhr beschließe ich, nach Hause zu gehen. Um 19:00 Uhr scheint
die Sonne.
[ Real-Video:
25.
Mai [0:30 Min.]
24.
Mai 20. Lebenstag. Heute ist Filmtag. Axel Wagner ist mit seinem
Team da. Kuno, unser Wachhund hat ihn kräftig verbellt. Markus hat die
neue Höhlenleuchte eingebaut. Er hat die Kameralinsen geputzt. Jetzt sind
die Bilder ohne Makel. Die Spechtkinder hocken am Höhlenboden. Fritz und
Friederike können auf ihre Kinder stolz sein. Wir sind es auch. Schließlich
haben wir sie auch ein wenig adoptiert. Das Gefieder ist vollkommen, schneeweiß
und schwarz auf dem Rücken, schön die rote Kopfplatte. Drei sind auf dem
Kopf dunkelrot. Ob das Spechtmänner werden? Die anderen beiden haben weniger
rot. Und rund um die Kopfplatte ist es gelblich. Kein Ton heute. Der Regen
hat das Mikro zerstört. Ich telefoniere, organisiere. Ich hoffe, der Ersatz
kommt heute noch. Da bringt ein Kurier ein neues Mikrofon. Jetzt senden
wir wieder Töne. Der Dreh geht bis zum Abend. Höhlenbaum, Spechte, Waldwagen,
Vogelfang, Beringen, fliegen lassen. Ich will den Kleinen noch gute Nacht
sagen. Im Kopfhörer brummt es. Eine dicke Fliege ist in der Höhle. Das
(sichtbare) Höhlenlicht schaltet sich aus. Die Jungen werden still, schließen
die Augen. Es ist zehn nach neun. Ein rundlicher Käfer läuft an der Höhlenwand.
Irgendwelche Krabbeltiere rennen über Max' Schnabel.
[ Real-Video:
24.
Mai [0:55 Min.]
23.
Mai 19. Lebenstag. Die Drosseln haben ihren Morgengesang begonnen.
Der Gartenrotschwanz singt. In der Spechthöhle ist's noch ruhig. Nur hin
und wieder höre ich über den Kopfhörer ein leises 'kikikikiki'
die Spechtkinder träumen. 5:23 Uhr wird es lauter in der Höhle. 5:33 Uhr
erscheint Fritz mit roten Käfern und grünen Raupen (ist das die Lieblingsspeise
oder sind sie am leichtesten zu finden?). Die Spechtkinder beginnen zu
lärmen. Sie hocken am Höhlenboden, putzen sich immer wieder. Jucken die
wachsenden Federn? Da entdecke ich, wie eine platte Fliege über das Gefieder
läuft. Kräftige Beine hat sie mit großen Klauen. Lausfliegen saugen Blut.
Am Einstich beginnt es zu jucken, unerträglich. Das Schlimme, Lausfliegen
können für Spechte gefährliche Krankheiten übertragen. 6:00 Uhr endlich
ist es so hell, dass ich Fritz und Friederike auf dem Bildschirm unterscheiden
kann. Sie füttern von außen. Nur wer zum Höhlenloch klettert, bekommt
etwas. Auf dem Weg zu Antons Höhle finde ich eine merkwürdige Pflanze,
den Aronstab. Wie ein Helm ragt der Blütenstand über die pfeilförmigen
Blätter. In den Blättern sind kleine Oxalatkristalle. Isst man sie, bohren
sie sich in die Zunge. Das brennt wie Pfeffer. Die 'Blüten' sind wie Flaschen.
Wenn eine Fliege hineinkriecht, kann sie nicht gleich hinaus. Haare versperren
ihr den Weg. In der Flasche nämlich sind männliche und weibliche Blüten.
Die Fliegen sollen den Blütenstaub zu den weiblichen Blüten bringen. Dafür
werden sie mit einem Trunk belohnt. Nach einem Tag Gefangenschaft welken
die Sperrhaare und die Fliegen sind frei.
22.
Mai 18. Lebenstag. Endlich habe ich das Stachelband am Höhlenbaum
angebracht. Es soll Mardern oder Schläfern den Weg zur Höhle versperren.
Fritz hat neue Späne losgehackt, seine Kinder sollen auf weicher, saugfähiger
Unterlage schlafen. Nachts nämlich kauern sie alle am Boden. Am Tage werden
die Spechtkinder von außen gefüttert. Im Höhlenloch sehe ich den Kopf
von einem Spechtkind auf dem Monitor. Bei der Fütterung sind der Kopf
von Fritz oder Friederike und der Kopf der Kinder um 90 Grad gegeneinander
verdreht. Vom Waldstudio aus höre ich das Kixen junger Buntspechte. Ich
höre Antons Kinder. Paul und Paula haben eine neue Höhle ganz dicht beim
Waldstudio. Bei der Futterstelle in der Esche wohnt ein anderes Paar.
Erst vor drei Wochen habe ich Männchen und Weibchen beringt. Abends blinkt
es aus der Höhle. Die Leuchte will sich verabschieden. Morgen wird Markus
sie erneuern.
21.
Mai 17. Lebenstag. Spechte sind gemeine Fallensteller
eine Hörerin ruft an. An ihrem Haus hat ein Buntspecht drei Höhlen gebaut,
in die Wand aus Styropor. Vorstellen kann ich mir das gut. Styropor ist
wie angefaultes Holz und isoliert ähnlich gut. In die Höhlen zogen Star
und Meisen ein. Dann hat der Buntspecht die klitzekleinen Jungen herausgeholt.
Wahrscheinlich hat er sie als große Maden betrachtet. Die Löcher in der
Fassade sind natürlich ärgerlich. In der Natur aber gilt Fressen und Gefressen
werden. An Vögeln werden sich unsere Mittelspechte nicht vergreifen. Ich
musste verreisen. Ein Interview für die Hörfunksendung am 3. Juni stand
noch aus. Auf dem Bahnsteig erreichte mich ein Anruf aus Alpirsbach. Ein
Telegrafenmast mit einer Spechthöhle soll umgesägt werden. Ich rate, Stadtverwaltung,
Naturschutzbehörde und NABU einzuschalten. Der Mast bleibt stehen, so
lange jedenfalls, bis die Jungen ausgeflogen sind. Neues von Fritz: ich
hatte gewagt, Fritz zu fangen, um die Ringnummer abzulesen. Heute mailt
mir Jürgen: G 103930 Mittelspechtmännchen, gefangen am 11. Januar 1996.
Damals war Fritz ungefähr ein Jahr alt; heute ist er also mindestens sieben
Jahre alt. Er ist der zweite Mittelspecht im Park, der so alt wurde. Die
Mittelspechtkinder sind heute noch schöner (Markus möchte sie küssen).
Die Kopffedern leuchten rot und ewig knör-kicksen sie auch spät
noch, wenn Fritz schon lange in seiner Schlafhöhle ist.
20.
Mai 16. Lebenstag. Der Gewitterregen hat das Mikrofon befeuchtet.
Dieses Mal versucht das Weibchen, eine riesige Portion Raupen und Schnaken
in die Spechtkinder zu stopfen. Sie sind satt, pappsatt. Schließlich wird
Friederike doch das meiste los. Den Rest frisst sie selbst. Ich muss mir
keine Sorgen mehr machen, dass Leni, das Kind mit den wenigsten Federn,
verhungert. (Vor zwei Tagen, als nur am Höhleneingang gefüttert wurde,
hatte ich wirklich Angst um sie.) Nach dreizehn Minuten haben die Spechtkinder
schon wieder Appetit. Das Männchen bringt Raupen, rote Käfer und Schnaken.
Etwas später kommt Friederike. Zehn Minuten ruht sie sich auf den Jungen
aus. Ein Junges legt sich über ihren Hals, ein anderes schaut unter ihren
Flügeln hervor. Die Stimmen der Jungen klingen kläglich, obwohl es ihnen
gut geht. Die Spechtkinder sehen jetzt schon richtig wie Spechte aus.
Nur ein paar nackte Stellen haben sie noch am Körper. Ihr Blick ist klar,
die Augen sind lange Zeit geöffnet. Jetzt kann ich die Spechtkinder endlich
unterscheiden: die Farbringe sind auf dem Bildschirm gut zu erkennen.
Die Kinder brauchen jetzt unbedingt Namen.
|