Pistole in einem Gürtel (Foto: SWR – Screenshot aus der Sendung)

Tödliche Exporte | Hintergrund

Stand
Autor/in
Ana Rios

Tödliche Kleinwaffen aus Deutschland

Nach Angaben der Vereinten Nationen sterben die meisten Menschen in bewaffneten Konflikten durch den Einsatz von Handfeuerwaffen und Sturmgewehren. UNICEF bezeichnet Kleinwaffen als das Massenvernichtungsmittel unserer Zeit. Schätzungen gehen von jährlich hunderttausenden Todesopfern, besonders in ärmeren Regionen der Welt, aus. Auch die deutsche Rüstungsindustrie mischt beim Export von Kleinwaffen mit. Der Gesamtwert der Genehmigungen für Kleinwaffen und Kleinwaffenteile belief sich laut Bundesregierung 2019 auf 69,49 Millionen Euro. Das ist ein Anstieg um 80% im Vergleich zum Vorjahr.

ARD-Dokumentation „Tödliche Exporte“ macht auf illegale Waffenexporte aufmerksam

Der Export von Kleinwaffen ist besonders schwer zu kontrollieren. Das Thema illegaler Waffenexporte aus Deutschland wurde einer größeren Öffentlichkeit 2015 bewusst gemacht durch die ARD-Dokumentation des Drehbuchautors und Regisseurs Daniel Harrich, „Tödliche Exporte - Wie das G36 nach Mexiko kam“. In dem Film wird gezeigt wie Sturmgewehre des Typs G 36 der süddeutschen Waffenfirma Heckler & Koch aus Deutschland in Guerrero (Mexiko) eingesetzt werden. Dort schießt die Polizei damit auf demonstrierende Studenten. Guerrero gehört zu den mexikanischen Bundesstaaten, die nicht mit deutschen Waffen beliefert werden dürfen.

Illegaler Waffenexport der Firma Heckler & Koch hat juristisches Nachspiel

Nicht zuletzt die Ausstrahlung dieser ersten Dokumentation hat zu einem Prozess gegen Heckler & Koch vor dem Landgericht Stuttgart geführt. Um diesen Prozess geht es in einem zweiten Film, „Tödliche Exporte - Rüstungsmanager vor Gericht“ (2020). Den Verkauf von rund 4.500 Sturmgewehren des Typs G 36 sowie Maschinenpistolen und Zubehör nach Mexiko hatte das deutsche Wirtschaftsministerium seinerzeit auf Grundlage der vorgelegten Endverbleibs-Erklärungen genehmigt. Darin wurden als Empfänger der Waffen nur als "unbedenklich" geltende mexikanischen Bundesstaaten genannt. Tatsächlich gelangten die Waffen jedoch auch nach Guerrero und in andere Regionen Mexikos, für die wegen Polizeigewalt und Menschenrechtsverletzungen keine Genehmigung erteilt worden wäre. Das Landgericht Stuttgart sah es als erwiesen an, dass Endverbleibs-Erklärungen durch Mitarbeitende von "Heckler & Koch" bewusst frisiert wurden, um Waffenlieferungen an nicht genehmigungsfähige mexikanische Bundesstaaten zu vertuschen.

Zwei ehemaligen Mitarbeitern von "Heckler & Koch" wies das Gericht nach, dass sie die Ausfuhrgenehmigung für die Waffen erschlichen und sie dahin gehend manipuliert hatten, dass alle bedenklichen Empfängerregionen in den Endverbleibs-Erklärungen nicht auftauchten. Die Mitarbeiter wurden zu Haftstrafen auf Bewährung verurteilt. Für eine Verurteilung der Geschäftsführung reichten die vorliegenden Beweise dem Gericht nicht aus. "Heckler & Koch" selbst konnte wegen des fehlenden Unternehmensstrafrechts in Deutschland nicht zur Verantwortung gezogen werden. Das Gericht hat entschieden, 3,7 Millionen Euro von der Firma einzuziehen. Das entspricht dem gesamten Umsatz aus den illegalen Mexiko-Geschäften.

Dieser Fall von illegalem Waffenhandel hat gezeigt, wie schwierig und bisher unzulänglich die Kontrollen bei Waffenexporten sind. Die Verhandlung vor dem Landgericht wird als ein wichtiges Signal an die Rüstungsindustrie betrachtet, dass bei Genehmigungen von Waffenexporten stärker auf die Menschenrechtssituation in den jeweiligen Ländern geachtet werden soll.

Waffenexporte über Drittstaaten – Beispiel Sig Sauer

Unternehmen können die Exportverbote aus Deutschland für bestimmte Länder und Regionen auf unterschiedliche Weise umgehen. Der deutsche Waffenhersteller Sig Sauer zum Beispiel hat seinen Stammsitz in Eckenförde. Die Firma Sig Sauer Inc., die sich zu hundert Prozent im Besitz des deutschen Mutterkonzerns L&O Holding befindet, produziert jedoch in den USA und darf nach US-Recht uneingeschränkt in alle Regionen Mexikos exportieren.

In der Vergangenheit tauchten in Mexiko immer wieder Kleinwaffen von Sig Sauer auf, die vermuten lassen, dass diese in Deutschland produziert wurden und über Sig Sauer Inc. in Regionen kamen, für die es vom deutschen Wirtschaftsministerium keine Genehmigung gegeben hätte.

Eine Liste des mexikanischen Verteidigungsministeriums (Sedena) bestätigt, dass die Waffen auch in Gegenden gelangten, in denen Sicherheitskräfte eng mit Banden der organisierten Kriminalität zusammenarbeiten. Etwa in die Grenzstadt Nuevo Laredo, einen der wichtigsten Orte für den Drogenschmuggel. Dort verschleppten Marinesoldaten 2018 zahlreiche Menschen. Mindestens 32 sind bis heute verschwunden, gegen 257 Angehörige der Marine wird deshalb ermittelt. Fotos und Videoaufnahmen belegen, dass bei den Angriffen von Marinesoldaten gegen Bürgerinnen und Bürger Sig-Sauer-Sturmgewehre vom Typ Sig 516 zum Einsatz kamen.

Im April 2019 wurden drei Ex-Manager von Sig Sauer vom Landgericht Kiel wegen illegaler Waffenlieferungen nach Kolumbien zu Bewährungsstrafen und Geldstrafen verurteilt. Sig Sauer wurde zu einer Geldstrafe von 11,1 Millionen Euro verurteilt. Nach Auffassung des Landgerichts entsprach dies dem Gewinn aus dem illegalen Waffengeschäft nach Kolumbien.

Eine Revision beim Bundesgerichtshof ist sowohl wegen der Waffenexporte von Heckler & Koch als auch der von Sig Sauer anhängig.

Endverbleib der Waffen und dessen Kontrolle

Ein Mittel zur Kontrolle der Rüstungsexporte ist die sogenannte Endverbleibs-Regelung. Im Antrag an das zuständige Wirtschaftsministerium muss festgehalten sein, wo die Rüstungsgüter und Waffen am Ende tatsächlich eingesetzt werden. In der Praxis werden Waffen allerdings von den Exportländern weiter in Länder exportiert, die nicht in der Endverbleibs-Erklärung aufgelistet sind.

Um manipulierte Endverbleibs-Zertifikate oder Exporte über Drittstaaten zu unterbinden, wäre nach dem Vorbild der Schweiz eine sogenannte Post-Shipment-Kontrolle denkbar. Dazu hat das Bundeskabinett im Juli 2015 die pilotmäßige Einführung von Vor-Ort-Kontrollen für bestimmte Rüstungsexporte in Drittländer beschlossen. So soll einer unerlaubten Weitergabe an Dritte vorgebeugt werden. Werden Verstöße gegen die Endverbleibs-Erklärungen festgestellt oder die Vor-Ort-Kontrollen trotz Zusage verweigert, wird das betreffende Land bis zur Beseitigung dieser Umstände von der Belieferung mit Kriegswaffen und Rüstungsgütern ausgeschlossen. Im März 2016 hat das Bundeskabinett die dafür notwendige Änderung der Außenwirtschaftsverordnung beschlossen.

Neue Grundsätze der Bundesregierung für Waffenexporte

Im Sommer 2019 hat die Bundesregierung überarbeitete Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vorgestellt. Die neuen Grundsätze sehen vor, dass Genehmigungen für Waffenexporte erschwert werden werden sollen. Vor allem will man in Zukunft Waffen nur in die Länder exportieren, in denen die Menschrechte eingehalten werden.

Die Nichtregierungsorganisation „Brot für die Welt“ kritisiert, dass die neuen politischen Grundsätze sehr allgemein gehalten seien. Sie hätten zudem nicht zu weniger Waffenexporten geführt. 2019 wurde der Höchstwert an Rüstungsexportgenehmigungen aus dem Jahre 2017 noch übertroffen.

Forderung nach einem Rüstungsexportkontrollgesetz

Auch andere Nichtregierungsorganisationen halten die politischen Grundsätze für den Export von Kriegswaffen und Rüstungsgütern für unzureichend und bekräftigen die Forderung nach einem rechtlich verbindlichen Rüstungsexportkontrollgesetz, das von der Bundesregierung und dem Deutsche Bundestag ausgearbeitet und beschlossen werden soll.

Waffenlieferungen trotz Menschenrechtsverletzungen

Laut Stockholmer Friedensforschungsinstituts (SIPRI) genehmigte die Bundesregierung 2019 Lieferungen in 52 Länder, deren Menschenrechtssituation als schlecht eingestuft wird. Das Friedensforschungsinstitut betrachtet es als besorgniserregend, dass die meisten deutschen Waffen in den an militärischen Konflikten reichen Nahen Osten exportiert werden.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft der Bundesregierung in einer Stellungnahme zum Rüstungsexportbericht vor, dass trotz anderer Bekundungen, menschenrechtliche Bedenken in der Genehmigungspraxis kaum eine Rolle spielen würden. Besonders die Ausfuhren nach Algerien, Ägypten, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar und Indonesien seien ein fatales Signal, so Amnesty International.

Einen erbarmungsloslosen Krieg führen seit Jahren die Konfliktparteien im Jemen. In der Region leiden über 20 Millionen Menschen infolge des Krieges unter Gewalt, Not und Hunger. Ein direkter Export von Waffen, Raketen, Granaten und Panzer aus Deutschland in den Jemen ist verboten. Die Bundesregierung hat allerdings seit Anfang 2019 Rüstungsexporte für mehr als eine Milliarde Euro an Länder genehmigt, die am Jemen-Krieg beteiligt sind, darunter Saudi-Arabien und die Vereinten Arabischem Emirate. Auch Ägypten, Bahrain, Jordanien und Kuwait, die sich mit Kampfflugzeugen und Kriegsschiffen am Jemen-Krieg beteiligen, bekommen seit Jahren Waffen aus deutscher Produktion geliefert.

Da Deutschland auch Rüstungshersteller in Frankreich und Großbritannien mit Komponenten für Waffen versorgt, sind nationalstaatliche Waffenembargos schwierig. Als die Bundesregierung nach dem Mord des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi im November 2018 die Waffenexporte nach Saudi Arabien stoppte, waren auch Zulieferungen von Waffenkomponenten nach Frankreich und Großbritannien davon betroffen. Die Regierungen in Paris und London protestierten und sahen die europäische Zusammenarbeit bedroht. Eine politische Rüstungsstrategie müsste innerhalb der EU gemeinsam erfolgen.

Zahlen und Fakten


Was sind „Rüstungsgüter“?
Unter den Begriff „Rüstungsgüter“ fallen neben Waffen (z.B. Gewehren) oder Panzern auch besonders geschützte Fahrzeuge, Minenräumgeräte, ABC-Schutzanzüge, Radaranlagen oder Lastkraftwagen mit Tarnlackierung.

Wer exportiert die meisten Waffen weltweit?
Vereinigte Staaten: 39,5 %
Russland: 17,3%
Frankreich: 12,4 %
China: 5,2 %
Deutschland: 4,4 %
Deutschland ist somit der fünftgrößte Waffenexporteur der Welt.

Entwicklung des Rüstungsexports aus Deutschland
Während der Wert der genehmigten Rüstungsexporte von 2017 auf 2018 um 23 Prozent zurückgegangen war, folgte 2019 dann wieder ein starker Zuwachs. Die Bundesregierung hat 2019 Rüstungsexporte für mehr als acht Milliarden Euro genehmigt und damit einen neuen Rekord aufgestellt. Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Wert der Ausfuhrerlaubnisse von 4,824 auf 8,015 Milliarden – und hat sich damit nahezu verdoppelt. 32 Prozent der Genehmigungen entfielen auf Kriegswaffen, der Rest auf sonstige militärische Ausrüstung.

Im ersten Quartal 2020 hat die Bundesregierung mehr Ausfuhren von Rüstungsprodukten genehmigt als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Der Wert der genehmigten Ausfuhren von Januar bis März summiert sich auf 1,16 Milliarden Euro. Diese Summe liegt um 45,3 Millionen Euro über dem Wert des ersten Quartals 2019.

Wohin gingen deutsche Rüstungsgüter 2019?
39,2 Prozent gingen in EU-Länder
16,7 Prozent gingen in NATO Mitgliedsländer und in Länder die eine besonders enge sicherheitspolitische Partnerschaft mit Deutschland haben.
44,1 Prozent gingen in Drittländer
Unter den Drittstaaten waren die größten Empfänger deutscher Rüstungsgüter Algerien mit einem Wert von 847 Millionen Euro und Ägypten mit 802 Millionen Euro. Es folgen Südkorea (373 Millionen Euro), die Vereinigten Arabischen Emirate (257 Millionen Euro), Katar (236 Millionen Euro) und Indonesien (202 Millionen Euro).

Welchen Anteil haben Rüstungsgüter am Gesamt-Exportvolumen Deutschlands?
Der Anteil der Rüstungsexporte am Gesamtvolumen deutscher Ausfuhren liegt bei 0,6 Prozent.


(Quelle: Rüstungsexportbericht 2019) (Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf Anfrage parlamentarischer Abgeordneter für Exporte im ersten Quartal 2020)

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