Der historische Hintergrund
Im Jahre 1934 erarbeitete ein gewisser Freiherr von Krüdener als Sachverständiger in Treibstofffragen ein Gutachten, das wieder die Möglichkeiten der Ölgewinnung aus dem Lias e untersuchte. Dies geschah bereits zum damaligen Zeitpunkt im Zusammenhang mit den Kriegsplanungen und der von den Machthabern angestrebten Autarkie. Freilich war 1934 Öl aus anderen Quellen noch weitaus billiger zu beziehen, sodass der Ölschiefer zunächst nur wenig Beachtung fand. Durch den Verlust der rumänischen Ölfelder und die gezielte Bombardierung der Kohlehydrierungsanlagen bei Pölitz und Leipzig (Leuna-Werke) änderten sich im Verlauf des Jahres 1944 die Voraussetzungen.
Die Produktion von Flugbenzin im 3. Reich war zentralisiert auf wenige Hydrierwerke, die im Wesentlichen auf Steinkohlebasis Flugbenzin herstellten. Schon in der Vorkriegszeit waren diese Anlagen nach rein ökonomischen Gesichtspunkten errichtet worden. Sie boten bei Einsetzen der alliierten Luftoffensive mit ihren weithin sichtbaren Schornsteinen gut auszumachende Ziele. Jeweils nach Wiederaufbau zerstörter Anlagenteile erfolgte die nächste Angriffswelle und störte die Produktion erneut.
Ende Mai 1944 zeichnete sich der Zusammenbruch der deutschen Treibstoffversorgung ab. Da die Deckung des Bedarfs von Wehrmacht und Luftwaffe nicht mehr gewährleistet war, forcierte die damalige politische Führung alle Vorhaben, die die Chance boten, die aufgetretenen Versorgungslücken schließen zu helfen. Den "Endsieg" vor Augen spielten jetzt wirtschaftliche Überlegungen bei der Treibstoffgewinnung keine Rolle mehr. Edmund Geilenberg, der frühere Vorsitzende des Hauptausschusses für Munition, wurde im Juni 1944 zum "Generalkommissar für Sofortmaßnahmen" ernannt und mit umfassenden Vollmachten ausgestattet. Neben dem Schutz und dem Wiederaufbau der bestehenden Anlagen zur Treibstoffgewinnung, sollten auch bisher nicht genutzte Reserven in Angriff genommen werden. Man sah u.a. vor, durch Schwelung aus Ölschiefer Öl zu gewinnen.
Meilerverfahren
Unter dem Decknamen "Wüste" wurde nun in der Folgezeit für das Meilerverfahren der größte Aufwand getrieben, da es am weitesten gediehen schien und in kleinem Maßstab bereits erprobt worden war (Versuchsanlage in Schömberg). Vor der großtechnischen Durchführung standen noch zahlreiche Probleme an, z.B. Korrosion der Rohre durch saure Nebel etc. Diese Schwierigkeiten sollten beim großtechnischen Ansatz gelöst werden. Beim Meilerverfahren wurde Schiefer im Tagebau gebrochen, gemahlen und im freien Gelände zu Meilern (ähnlich Holzkohlemeilern) geschichtet, in die Absaugrohre ragten. Die Oberfläche der Meiler musste zur Zündung mit einer Schicht brennbaren Materials bedeckt werden, wozu man Torf bzw. Braunkohle einsetzte. Nach der Entzündung von oben schwelten die Meiler durch das gleichzeitige Absaugen von unten durch. Die dabei durch den Schiefer wandernde Wärmefront führte zum Austreiben des Öls, das anschließend gesammelt und aufgearbeitet wurde. Der Wirkungsgrad dieses Verfahrens war allerdings sehr gering, da zur Produktion von 1 t Schieferöl etwa 35 t Schiefer aufgearbeitet werden mussten. Von den ursprünglich geplanten und in Angriff genommenen 10 Wüstenwerken zwischen Reutlingen und Rottweil konnten nur vier die Produktion von Schieferöl tatsächlich aufnehmen:
„WÜSTE 2“ Bisingen
„WÜSTE 4“ Erzingen
„WÜSTE 8“ Dormettingen
„WÜSTE 9“ Schömberg

Ständige Tieffliegerangriffe und die Schwierigkeiten, notwendiges technisches Gerät zu beschaffen (Eisenrohre, Destillationsanlagen, Pumpen), verhinderten die Inbetriebnahme aller Werke. Das Gesamtaufkommen von Schieferöl war daher unbedeutend und belief sich auf ca. 1500 t. Die Qualität war im Übrigen so schlecht, dass eine direkte Verbrennung nur in speziellen Motoren in Frage kam, z.B. Traktoren mit Glühkopfvergaser, Schiffsdieselmotoren etc. Für eine Verwendung als Flugbenzin wäre eine Hydrierung notwendig gewesen.



Die Konzentrationslager
Die Arbeitskräfte, die man zur Ölgewinnung einsetzte, waren KZ-Häftlinge für die die SS zu sorgen hatte. Die sieben Lager des südwürttembergischen Schieferölprogramms gehörten zu den letzten KZs, die das nationalsozialistische Terrorsystem errichtete. Das Lager Dormettingen wurde im April 1945 zu einem Zeitpunkt erstellt, als Auschwitz kurz vor der Befreiung stand. Anfang April, also nach knapp drei Monaten, wurde es evakuiert. Zwei Wochen später standen alle Lager leer. Für die Gefangenen allerdings endete die Zeit ihrer KZ-Haft in einem letzten Höhepunkt der Schikane, den Evakuierungsmärschen zwischen dem 17. und dem 23. April 1945.
Die Lager waren keine Vernichtungslager wie Auschwitz oder Treblinka, sie hatten nicht die Größe von Dachau oder Buchenwald. Und doch starben dort, „vernichtet durchArbeit“, Tausende von Menschen. Die Häftlinge stammten aus fast ganz Europa. Aus Stutthof/Danzig wurden die letzten Überlebenden der jüdischen Bevölkerung Litauens, aus Auschwitz und Buchenwald, polnische Juden und Überlebende des Warschauer Aufstandes in die Lager gebracht und über Dachau ungarische Juden. Daneben zählten auch Mitglieder der Widerstandsbewegung Westeuropas und Skandinaviens zu den Häftlingen dieser Konzentrationslager.
Die Verhältnisse waren in allen Lagern unmenschlich. Dennoch ergibt sich aus den Zeugenberichten ein differenzierteres Bild. Das hing einerseits von äußeren Bedingungen ab, wie das jeweilige Lager eingerichtet war. Andererseits gab es auch, was die Lagerführung anbelangte, Unterschiede. Die ersten drei dieser Lager standen im Zusammenhang mit den drei Versuchsanlagen: Schömberg, Frommern und Schörzingen. Belegt wurden diese kleinen KZs zunächst mit Häftlingen aus dem Stammlager Natzweiler-Struthof. Im Vergleich dazu scheint es im Lager Frommern und im Lager Schömberg (dem sog. Bahnhofs-KZ) erträglich zugegangen zu sein. Über die Verhältnisse dort berichtete der ehemalige Häftling Christophe Hornick unter anderem: „Ohne je zu schreien und natürlich ohne zu schlagen, leitete er (der Lagerälteste) das Lager; er hielt die Ordnung mit diplomatischem Geschick aufrecht, mit dem Erfolg, dass es von nun an fast keine Toten mehr gab“ (nach LEMPP et. al. 1991).
Mit Korruptheit und Sadismus herrschten Wachpersonal und Kapos. Wie man trotzdem in einem solchen Milieu der Menschenvernichtung an verantwortlichster Stelle gegen den Strom schwimmen konnte, ist am Beispiel des Lagerkommandanten von Dautmergen Erwin Dold zu sehen. Er war ab dem Spätherbst 1944 Lagerleiter in Dautmergen. Als Feldwebel der Wehrmacht, ohne Parteibuch und SS-Mitgliedschaft, wurde er nach einer Verwundung an der Front an diese Stelle zwangsversetzt. In einer Reihe gewagter Unternehmungen konnte er die Not der Lagerinsassen wenigstens vereinzelt lindern. Mit viel Zivilcourage sorgte er heimlich für Nahrung, Medikamente und Kleidung. Als die SS-Angehörigen im Rastatter Kriegsverbrecherprozess 1946 verurteilt wurden, war der Lagerführer von Dautmergen der einzige, der freigesprochen wurde. Auch Teile der Bevölkerung der umliegenden Gemeinden versuchten die Not der Gefangenen etwas zu lindern. Ständig in der Gefahr, von Denunzianten verraten und selbst in eines der Lager gesteckt zu werden, halfen Bürger, indem sie z.B. flüchtende Häftlinge versteckten oder auf den Feldern, die zu Tagebaustätten wurden, Äpfel und Kartoffeln zurückließen. Die genaue Zahl der KZ-Häftlinge, die in den Lagern der „Wüsten“ umkamen, ist unbekannt. Sie dürfte aber bei über 3500 liegen.
Mehrere Gedenkstätten erinnern an diese sinnlosen Opfer des „totalen Krieges“. Weitere Überbleibsel der damaligen Schieferölgewinnung sind: eine ganze Anzahl von KZ-Gebäuden (Schömberg beim Bahnhof), Mauerreste von Betriebsanlagen (Wüste 10 - Zepfenhan, Gedenkstätte Eckerwald), Meiler bzw. in Meilern entstandene Schlacken (Wüste 4 - Erzingen, südlich der Domäne Bronhaupten) und junge Aufforstungen, die im Zuge der Rekultivierung der wüst gefallenen Flächen entstanden. Beim Vergleich alter und neuer topographischer Karten werden darüber hinaus morphologische Veränderungen sichtbar: z.B. Begradigung eines Flusslaufs (Schlichem), Verlagerung von Geländestufen (Bisingen), etc.