










Olympische Spiele 1936. Gretel Bergmann ist eines der großen Hochsprungtalente des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Sie ist Jüdin. Rückblickend erzählt Gretel Bergmann von ihrem Schicksal als Hochspringerin zu Zeiten des Nationalsozialismus.
Eine deutsche Gaststätte im New Yorker Stadtteil Queens. Gretel Bergmann sitzt mit ihrem Mann bei Wiener Rostbraten und Kalbshaxe. Margret Lambert, so nennt sich Gretel Bergmann heute, und ihr Mann Bruno stammen beide aus dem schwäbischen Laupheim bei Ulm und leben seit nunmehr 60 Jahren in Amerika. 1937 emigriert das Paar, nachdem Gretel Bergmann von den Nationalsozialisten aus der Nationalmannschaft ausgeschlossen wurde. Die Flucht rettet ihr das Leben. Dennoch ist die Freiheit eine für sie schwer zu tragende Bürde. Gretel Bergmann lässt in Deutschland viel mehr zurück als nur ihre sportliche Karriere. Innerlich bleibt sie gefangen. Sie ist die Verletzte, die Verbitterte, auch heute noch.
Früher war das anders. Ihre Freundinnen beschreiben sie als junge Frau: fröhlich, sportlich hochbegabt. Gretel Bergmann verbringt eine unbeschwerte Jugend in dem idyllischen Laupheim. Damals lebten dort über 800 Juden. Sie sind fester Bestandteil der Stadt, tragen zur kulturellen Atmosphäre bei.
Gretel Bergmann in ihrer New Yorker Wohnung sieht sich das Video der Olympischen Spiele 1936 an: die Eröffnungsfeier, die Wettkämpfe. Ihre Verbitterung darüber, dass sie nicht teilnehmen durfte, kann sie nicht verbergen. Sie fühlt sich um die Erfüllung ihres Traumes betrogen. Das wird sie nie überwinden. Hätte sie die Medaille jedoch gewonnen, wäre sie umgebracht worden, meint sie bitter. Gerne hätte sie trotz allem den Olympiatrubel genossen.
Deutschland 1930: Gretel Bergmann trainiert nicht mehr in Laupheim, sondern im Ulmer Fußballverein, der ihr bessere Trainingsbedingungen bietet. Drei Jahre später muss sie von einem auf den anderen Tag den Verein verlassen, obwohl sie viele Medaillen für die Ulmer gewann. Wie konnte das von einem Tag auf den anderen geschehen? Die Deutsche Turnerschaft führt 1933 den Arierparagraphen ein. Sportler jüdischer Herkunft dürfen nicht mehr in arischen Vereinen Sport treiben, sondern müssen sich in rein jüdischen Vereinen engagieren. Den Juden wird sportliche Untüchtigkeit vorgeworfen, man untersagt ihnen die Teilnahme an Wettkämpfen. Damit entzieht man ihnen unter anderem die Möglichkeit, sich für die kommenden Spiele in Berlin zu qualifizieren. Nicht nur Gretel Bergmann, sondern auch viele andere international bekannte Athleten müssen ihre Vereine verlassen, so wie der berühmte Daviscupspieler Daniel Prenn, oder auch der Olympiasieger Alfred Flatow: Er verhungert 1942 im KZ Theresienstadt.
Gretel Bergmanns Bewerbung an der Hochschule für Leibesübungen in Berlin wird mit der Begründung abgelehnt, es sei unklug, zu diesem Zeitpunkt an der Hochschule aufgenommen zu werden. Im Oktober 1933 geht sie mit ihrem Vater zum Studium nach England. 1934 wird Gretel Bergmann britische Meisterin im Hochsprung. Dadurch erlangt sie internationales Ansehen. Natürlich erfahren auch die Deutschen von Gretels überdurchschnittlichen Leistungen. Der Reichssportführer erzwingt Gretels Rückkehr nach Deutschland. Inoffiziell lässt man ihre Eltern wissen, dass im Falle einer Weigerung die Familie erhebliche Repressalien zu befürchten hätte. Zurück in Deutschand wird Gretel Bergmann sogar Mitglied der Auswahl für die Olympischen Spiele. Als einzige Jüdin lädt man sie nach Ettlingen ins Olympische Trainingslager ein. Alle hoffen jetzt auf die Teilnahme von Gretel Bergmann an den Olympischen Spielen. Doch Gretel Bergmann hat Angst. Sie spürt die feindliche Atmosphäre im Trainingslager und weiß, dass sie hier unter Lebensgefahr trainiert. Sie rechnet täglich damit, deportiert zu werden. Die feindliche Atmosphäre macht sie wütend und genau das steigert ihre Leistungen. Gretel Bergmann will zeigen, was eine Jüdin leisten kann. Sie darf nur viermal in 2 Jahren an einem olympischen Trainingslager teilnehmen, also lediglich 16 Tage in 2 Jahren. Ihre Wut steigert ihre Leistungen auch ohne Trainingslager.
Eine Deutsche Metzgerei in Queens: dort kauft Margret heute am liebsten ein. Damals lebte sie deutschnational, als assimilierte Jüdin. Sie sagt: „Man ist erst Deutscher, dann Mensch, dann Jude gewesen. Heute hasse ich Deutschland nicht mehr. Dennoch gibt es zu viele schreckliche Erinnerungen, um dorthin zurückzukehren, nicht nur wegen Olympia, sondern vor allem wegen des Schicksals von Brunos Eltern.“
Der internationale Druck wächst. Das Ausland fordert die Aufstellung von Sportlern jüdischen Glaubens. Amerika droht mit Nichtteilnahme an den Spielen. Das Reichssportministerium lässt Gretel Bergmann daher wieder an nationalen Wettkämpfen teilnehmen. Mit dem deutschen Rekord von 1,60 m qualifiziert sich Gretel Bergmann 4 Wochen vor Olympia. Man lässt die USA in dem Glauben, dass Gretel Bergmann Starterlaubnis habe, sie ist die „Alibijüdin“, die einzige. Gretel Bergmann ist sich trotz der Nominierung immer bewusst, dass das Regime sie dennoch loswerden will. Ihre Angst bleibt. Am 15. Juli macht sich die amerikanische Mannschaft auf die Schiffsreise nach Europa. Einen Tag später erhält Gretel Bergmann einen Brief aus Berlin: die Absage für Olympia! Innerhalb der Mannschaft das Gerücht in die Welt gesetzt, Gretel sei verletzt.
Die Spiele finden ohne Gretel Bergmann statt: Bergmanns frühere Kollegin und Freundin Elfriede Kaun wird dritte. Dora Ratjen, die nur einen vierten Platz erringen kann, entpuppt sich zwei Jahre später als Mann. Ursprünglich sind drei Athletinnen vorgesehen, Kaun und Ratjen sind jedoch die einzigen die teilnehmen. Gretel Bergmann erhält eine Stehplatzkarte für die Spiele.
Heute, nach 60 Jahren lebt die Freundschaft von Elfriede Kaun und Gretel Begrmann durch einen Briefwechsel wieder auf. Rückblickend fragt sich Elfriede Kaun, wie man so blind sein konnte als junges Mädchen, wie man sich so ausschließlich für den Sport begeistern konnte, dass man sich für das andere nicht interessiert hat.