Vom Schotterweg zur Rennpiste
Der Wunsch nach schnellen Straßen
Deutschlands Straßen waren bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts für Pferdefuhrwerke und Karren konzipiert, das Automobil noch wenig verbreitet. Dennoch erwachte schon damals der Wunsch nach schnellen und staubfreien Straßen. Kaiser Wilhelm II. soll es gewesen sein, der die Anregung zum Bau einer Automobilstrecke gab: Während eines Autorennens in Hamburg behinderte der aufgewirbelte Staub die Sicht und so kam ihm der Gedanke, zementierte Straßen anlegen zu lassen.

Die AVUS – Vorreiter der Autobahn
Eine berühmte Renn- und Teststrecke in Berlin wurde zum Vorreiter für Deutschlands Autobahnen: Die „Automobil-Verkehrs- und Uebungs-Straße“, kurz AVUS, verband die 9,8 Kilometer lange Strecke zwischen Charlottenburg und Wannsee. Begonnen hatten die Bauarbeiten für die AVUS schon 1913, doch nach Kriegsausbruch mussten sie vorerst eingestellt werden. Erst im Frühjahr 1921 wurden die Arbeiten an dieser neuartigen Straße wieder aufgenommen, die nur für Autos und für hohe Geschwindigkeit angelegt war: Es existierten keinerlei Kreuzungen, dafür ein breiter Mittelstreifen, der die beiden Fahrbahnen räumlich voneinander trennte. Am 24. September 1921 wurde die AVUS mit einem Eröffnungsrennen eingeweiht.
Deutschland nimmt Fahrt auf

Hamburg-Frankfurt-Basel
Der Bedarf an Autostraßen stieg in den 1920er Jahren gehörig an. Grund dafür waren steigende Verkehrszahlen und zahlreiche Unfälle, an denen oft noch Pferdefuhrwerke beteiligt waren. Schon bald entstanden in Deutschland Pläne für ein zusammenhängendes Netz von autobahnähnlichen Fernstraßen. „Nur-Autostraßen“ nannte man sie damals. Als eines der wichtigsten Projekte wurde 1926 die HAFRABA gegründet, eine „Vereinigung zur Vorbereitung der Autostraße Hamburg-Frankfurt-Basel“. Diese private Gesellschaft lieferte nicht nur eine detaillierte Planung für die 880 km lange Nord-Süd-Verbindung, sondern legte auch technische Richtlinien fest, die für alle späteren Autobahnen Pflicht wurden. Die Verwirklichung der HAFRABA scheiterte jedoch zunächst an finanziellen Hürden und an der Ablehnung durch NSDAP und KPD im Reichstag.
„Straßen der Zukunft“
Erst 1932 wurde die Strecke freigegeben, die offiziell als erste deutsche Autobahn gilt: Es handelte sich um die rund 20 Kilometer lange, vierspurige „Kraftwagenstraße“ zwischen Köln und Bonn. Der damalige Kölner Oberbürgermeister Konrad Adenauer gab sie mit den bedeutsamen Worten: „So werden die Straßen der Zukunft aussehen“ für den Verkehr frei.
Mythos Führerautobahn

„Die Strassen des Führers“
Nach der Machtübernahme 1933 nutzten die Nationalsozialisten die Autobahn für ihre Propaganda und nannten sie „Straßen des Führers“. Noch vor wenigen Jahren hatte die NSDAP selbst gegen den Autobahnbau gestimmt. Doch nun kamen die Pläne der HAFRABA gelegen und Adolf Hitler brauchte sie nur aus der Schublade zu ziehen. Mit der Ankündigung eines großflächigen Autobahnnetzes demonstrierte der Führer den Fortschrittswillen der neuen Regierung. 1933 tat er persönlich den ersten Spatenstich für die Reichsautobahnstrecke zwischen Mannheim und Frankfurt am Main. Das erste Stück Reichsautobahn wurde nur zwei Jahre später zwischen Frankfurt und Darmstadt feierlich eröffnet.
Harmonie von Straße und Landschaft
Vorangetrieben wurde der Bau der Reichsautobahn von Dr. Fritz Todt, dem „Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen“. Unter seiner Leitung sollten drei große Nord-Süd-Verbindungen entstehen, dazu drei von Ost nach West. Zu diesem Zweck mussten unter hohem technischem Aufwand Straßen, Flüsse und Schluchten überbrückt werden. Neben der technischen Vollendung wünschte Chefplaner Todt eine landschaftlich schöne Streckenführung. Man sprach sogar vom „Hineinkomponieren“ der Autobahnen in die deutsche Landschaft.
Die Autobahn als Jobmotor?
Der Autobahnbau sei nicht nur fortschrittlich, sondern bekämpfe auch die Arbeitslosigkeit. So jedenfalls lautete ein weiterer Teil der NS-Propaganda. Nach heutigen Erkenntnissen sollen während der gesamten Bauzeit jedoch maximal 120.000 Menschen mit dem Bau beschäftigt gewesen sein – im Vergleich zu den damals 6 Millionen Arbeitslosen ein Klacks. Dass die Beschäftigungszahlen nach Hitlers Machtübernahme stiegen, ging vielmehr auf die Erholung der Weltwirtschaft zurück und auf die wachsende Rüstungsindustrie.

Niedergang und Neubeginn

Das Aus für die Autobahn?
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs waren 3300 der geplanten 6900 Kilometer Autobahn fertig gestellt. Von da an wurden Arbeitskräfte abgezogen oder an Strecken verlegt, die für Kriegszwecke wichtig erschienen. Ab 1942 herrschte schließlich ein totaler Baustopp an der Reichsautobahn. Und nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches lösten die Alliierten das Unternehmen „Reichsautobahn“ auf. Der Traum von der deutschen Autobahn schien ausgeträumt.
Wiederaufbau und Wirtschaftswunder
Nach dem Krieg lag Deutschland in Schutt und Asche. Große Autobahnabschnitte waren zerstört, viele Tank- und Rastanlagen schwer beschädigt. Die Besatzungsmächte organisierten Reparaturtrupps, die in den folgenden Jahren die schlimmsten Schäden an den westdeutschen Autobahnen beseitigten.
1950 standen in der BRD wieder rund 2200 Kilometer Autobahn zur Verfügung, die nun Bundesautobahnen hießen. Diese wurden dringend benötigt, denn der Individualverkehr nahm ständig zu. Der VW-Käfer wurde zum Symbol für das Wirtschaftswunder, immer mehr Bundesbürger fuhren ihr eigenes Automobil. Auch der LKW-Verkehr stieg enorm an. In einer Wochenschau aus den 1950er Jahren hieß es: „Tag und Nacht fahren die Lastzüge im Dienste der Wirtschaft und transportierten die Güter an alle Verbrauchsstellen.“ Von nun an wurden die Bundesautobahnen stetig ausgebaut.
Transitstrecken in der DDR
Das Autobahnnetz der BRD endete im Osten an den Grenzkontrollstellen der DDR. Wer nach Westberlin wollte, musste die alten Pisten der Reichsautobahn nutzen. Diese Transitstrecken blieben in zunehmend schlechtem Zustand. Für darauf transportierte Güter verlangten DDR-Kontrolleure hohe Gebühren, die angeblich für die Instandhaltung der Straßen verwendet werden sollten.
Wir fahren fahren fahren auf der Autobahn

Freie Fahrt für freie Bürger
In Westdeutschland wuchsen die Autobahnen kontinuierlich in die Breite und in die Länge, der Individualverkehr stieg stetig an. Für Aufregung und Diskussionen sorgte in den 1970er Jahren der ADAC-Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“: Hohe Unfallzahlen, Luftverschmutzung, Landschaftsverbrauch und Ölkrise standen in heftigem Kontrast zur Forderung nach unbegrenzter Mobilität und Fahren ohne Tempolimit. Die Ironie an der Parole: Durch den ständig wachsenden Straßenverkehr wurden die deutschen Autofahrer immer weniger mobil - und standen immer mehr im Stau.
Verkehrsprojekt Deutsche Einheit
Mit dem Fall der Mauer ergossen sich auf Deutschlands Straßen plötzlich noch gewaltigere Verkehrsströme. Vor allem in Ost-West-Richtung überstieg der Durchgangsverkehr beinahe das Fassungsvermögen der deutschen Autobahnen. Zum westdeutschen Autobahnnetz von 8880 Kilometern waren nach der Wiedervereinigung noch knapp 2000 Kilometer Strecke aus der Ex-DDR hinzugekommen, allerdings in sehr schlechtem Zustand. Ein zügiger Ausbau sollte dafür sorgen, dass alte und neue Bundesländer und ein bis dahin geteiltes Europa schnell zusammenwachsen. Mit dem Verkehrsprojekt Deutsche Einheit beschloss die Bundesregierung 1992 ein Programm, das insgesamt 17 Straßen- und Schienenbauprojekte vorantrieb.
Heute bringt es das Netz deutscher Autobahnen auf eine Strecke von mehr als 12.000 Kilometern. Freie Fahrt gibt es selten, kilometerlange Staus sind die Regel. Daran konnte auch die Einführung der LKW-Maut im Jahr 2005 nur wenig ändern. Mit technischen Neuerungen wie elektronischer Verkehrsüberwachung versucht man mittlerweile, einen Kollaps zu verhindern und den Verkehr einigermaßen am Rollen zu halten.
