Bannerbild (Quelle: SWR – Screenshot aus der Sendung) (Foto: SWR – Screenshot aus der Sendung)

Französische Literatur

Voltaire et "Candide" | Hintergrund

STAND
Autor/in
Christel Schelshorn

"Candide ou l’optimisme" – die Entstehung

Ein Schattenriss eines Mannes, der mitt überschlagenen Beinen auf einem Stuhl sitzt. Eingeblendet steht "Voltaire et Candide" (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
SWR - Screenshot aus der Sendung

"Candide" erschien 1759 in Genf; Voltaire schrieb das Werk 1758 im französischen Ferney nahe der Schweizer Grenze. Dorthin hatte er sich tief enttäuscht zurückgezogen, nachdem er sowohl am französischen wie am preußischen Hof in Ungnade gefallen war. In Ferney schafft er, umgeben von wenigen Getreuen und besucht von den Großen seiner Zeit, ein irdisches Paradies, wo man dank nutzbringender Tätigkeit und Toleranz in Wohlstand und Frieden leben kann. Voltaire setzt hier die Erkenntnis, zu der Candide am Ende seiner Irrfahrt gelangt, in die Wirklichkeit um: "Il faut cultiver son jardin."

Aufarbeitung privater Erlebnisse und philosophische Stellungnahme

In diesem Werk zieht Voltaire die Bilanz seines Lebens und nimmt Bezug auf wichtige private Erlebnisse wie auf die erschütternden Ereignisse seiner Zeit: auf den Siebenjährigen Krieg und auf das Erdbeben von Lissabon. Er bezieht darin aber auch in kämpferisch-polemischer Weise Stellung im philosophischen Streit des 18. Jahrhunderts und führt die Lehre des deutschen Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz, dass unsere Welt die vollkommenste aller möglichen Welten sei, ad absurdum (Leibniz benutzt diese Lehre zur Rechtfertigung Gottes = Theodizee). Voltaire konfrontiert nämlich seien Helden Candide permanent mit einer grausamen Wirklichkeit, die den Menschen körperlich und seelisch zerstört.

Candide (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Candide versteckt sich während der Schlachten zwischen Bulgaren und Abaren so gut er kann. SWR - Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen
In Lissabon erleben Candide und Pangloss ein Erdbeben, das 30.000 Menschenleben fordert. SWR - Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Amüsieren um zu Belehren

Der Philosoph Voltaire lenkt und belehrt seine Leser auf höchst amüsante Weise: einmal durch seinen ironisch-sarkastischen Stil, zum anderen durch die von ihm gewählte Gattung: er greift schon wie zuvor bei "Zadig" auf die Form der Erzählung (le conte) zurück, obwohl diese für den Theaterautor, den Verfasser großer historischer und philosophischer Werke, eine niedrige Gattung ist. Doch gibt sie ihm die poetische Freiheit, seinen "tumben Toren" in atemberaubendem Tempo von Abenteuer zu Abenteuer zu jagen, ihm das „heroische Gemetzel“ des Krieges, Aberglaube und Fanatismus der Inquisition, Naturkatastrophen, wundersame Wiederbegegnungen und schließlich die Suche nach der Dame seines Herzens und dem irdischen Glück erleben zu lassen. So ist "Candide" stilistisch und inhaltlich von meisterhafter Vielfältigkeit, ist Entwicklungs- und Schelmenroman ("roman d' apprentissage et roman picaresque"), parodiert den konventionellen Abenteuer- und Liebesroman.

Die Philosophie in "Candide"

In "Candide" drückt Voltaire "par une plaisanterie une philosophie profonde" aus. Er entlarvt Dogmen, Heilslehren und jedes irdische Paradies als gefährliche Illusion und erteilt allen idealistischen Philosophien eine Absage. Nachdem er mit der Zerstörung des Schlosses von Thunder-ten-tronckh und der Entfernung des jungen Barons der sozialen und politischen Ordnung seiner Zeit das Ende prophezeit hat, weist er den Freunden der kleinen Meierei einen neuen Weg: den Weg zupackender Arbeit. Sie macht das Leben erträglich, weil sie vor "Langeweile, Laster und Sorge" ("l'ennui, le vice et le besoin") bewahrt. So rechtfertig er mit dem "Candide" auf philosophische Weise eine neue ökonomische Ordnung, die aber auch die moralischen Werte nicht vernachlässigt. Denn die Getreuen in der Meierei leben in Harmonie und Frieden miteinander und vervollkommnen sich. Trotz des idyllischen Endes ist "Candide" aber ein Werk, das nicht nur die vorrevolutionäre aristokratische Weltordnung in Frage stellt, sondern darüber hinaus den Sinn des Lebens an sich mitsamt seinem Schöpfer.

Blick auf ein herrschaftliches Haus. (Foto: SWR - Screenshot aus der Sendung)
Voltaire bestellt seinen Garten SWR - Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen
Voltaires erste Tragödie "Ödipus" SWR - Screenshot aus der Sendung Bild in Detailansicht öffnen

Voltaire – auteur engagé

Die Jahre in Ferney (1760 – 1778) sind die des "auteur engagé". "J'écris pour agir" schreibt Voltaire 1767 an Jacob Vernes. Er verfasst neben "Candide" weitere philosophische Erzählungen und Romane, thesenhafte Theaterstücke und Pamphlete und setzt sie ebenso wie das 1764 erscheinende "Dictionnaire philosophique" und seine Artikel in der "Encyclopédie" als geistige Waffe im Kampf der philosophischen Ideen ein. Von Ferney aus führt Voltaire unter Einsatz seiner finanziellen und intellektuellen Mittel die Kampagne zur Rehabilitation von Jean Calas. Geleitet von seiner Lebensdevise "Ecrasez l'infâme!" (l'infâme ist für ihn die katholische Kirche und der Aberglaube) schreibt er den "Traité sur la Tolérance" (1763) und das "Prière à Dieu", wo er sich wie in "Candide" als Deist über die einzelnen Religionen erhebt.

Alle Themen zum Schwerpunkt Französische Literatur

Voltaire et "Candide"

Der naive Candide im irdischen Paradies, im Schloss zu Thunder-ten-tronckh, im grausamen Krieg zwischen Bulgaren und Abaren, beim Erdbeben von Lissabon, als Opfer der Inquisition: Er kommt nach unzähligen Abenteuern, endlich vereint mit der einst geliebten Cunégonde, zu der Schlussfolgerung: Wir müssen unseren Garten bearbeiten. Voltaire, der Kritiker seiner Zeit, der politisch Verfolgte, an europäischen Königshöfen Gefeierte, hat sein eigenes Leben in diese philosophische Erzählung gepackt.

Molière

Szenenausschnitte aus „Les Précieuses ridicules“, „L'Ecole des femmes“, „Don Juan“ und „Le Malade imaginaire“ geben einen repräsentativen Überblick über das Werk Molières. Zwischenspiele greifen Augenblicke aus dem Leben des Jean-Baptiste Poquelin und seiner illustren Theatergruppe auf.

Guy de Maupassant et "La Parure"

Das Leben Guy de Maupassants – seine Liebe zur Natur, zum Wasser und zur Normandie, sein ausschweifendes Leben in Paris, seine Abscheu vor dem Krieg (1871/72), seine fortschreitende Krankheit, sein Tod im Alter von nur 42 Jahren – rankt sich in fünf impressionistischen Bildern um die Inszenierung seiner Novelle „Der Schmuck“: Die brave Mathilde Loisel leiht sich für den Ball ihrer Träume ein Diamantkollier – und verliert es. Zehn Jahre lang führen sie und ihr Mann ein elendes Leben und schuften, um das Ersatzschmuckstück abzubezahlen...

Albert Camus "Les Justes"

Russland, 1905: soziales Elend. Eine Gruppe von Revolutionären ermordet den Großherzog Sergej. Die Mitglieder diskutieren heftig darüber, inwieweit zum Durchsetzen politischer Ziele Gewalt anzuwenden ist. Eine der vielen Fragen, die Albert Camus im Laufe seines kurzen Lebens zu lösen versuchte, und die er in dem Theaterstück „Les Justes“ thematisierte. Eine Dokumentation über sein Leben ergänzt die Szenenausschnitte und stellt sie in einen biographischen und zeitgeschichtlichen Zusammenhang.

Eugène Ionesco "La Cantatrice Chauve"

Zwei Ehepaare tauschen Banalitäten aus, ein Feuerwehrhauptmann versucht ein Missverständnis aufzuklären, das Gespräch wird immer floskelhafter, die Sprache löst sich auf, eine „kahle Sängerin“ erwartet man vergebens in dem gleichnamigen Theaterstück von Eugène Ionesco. Die anschließende Dokumentation über das Leben des Autors vermittelt einen Einblick in seine geistige Welt und beleuchtet die Besonderheiten des absurden Theaters.

Jean-Paul Sartre "Huis Clos"

Garcin, Inès und Estelle sind in einem Raum eingeschlossen und machen sich gegenseitig das Leben zur Hölle. In die Hölle sind sie gekommen, weil alle drei am Tod eines geliebten Menschen schuld sind. Die Henker in der Sartre’schen Hölle sind die "Anderen". An die Ausschnitte aus dem Theaterstück „Huis Clos“ schließt sich eine Dokumentation über Jean-Paul Sartre an, die das Leben des wohl berühmtesten Vertreters des französischen Existentialismus nachzeichnet.

STAND
Autor/in
Christel Schelshorn