Jean-Paul Satre (Foto: SWR – Screenshot aus der Sendung)

Französische Literatur

Jean-Paul Sartre "Huis Clos" | Unterricht

Stand
Autor/in
Leonore Zwölfer

Die Sendungen der Reihe „Französische Literatur“ unterstützen die Arbeit mit Werken der klassischen französischen Literatur an Gymnasien, vor allem in der Kursstufe.

Sie ermöglichen eine alternative Annäherung an literarische Texte, geben Einblick in die Biographie der Autoren und veranschaulichen den zeitgeschichtlichen Kontext, in dem die Werke entstanden. Des Weiteren schulen sie das Hör-/Sehverstehen und erlauben es den Schülerinne und Schülern, Auszüge aus zeitgenössischen Inszenierungen von französischen Theatern zu sehen. Gleichzeitig vermitteln sie authentisch gesprochenes Französisch und Bühnenfranzösisch. Sie geben außerdem Anregungen für die Auseinandersetzung mit den in den Werken angesprochenen philosophischen Themen.

Damit dienen sie der Erfüllung der in den unterschiedlichen Bildungsplänen formulierten Ziele des Französischunterrichts in der Oberstufe.

Unterricht

Die Sendung besteht aus zwei voneinander getrennten Teilen: im ersten werden Ausschnitte einer Aufführung von "Huis Clos" durch das Théâtre Off aus Marseille gezeigt: der zweite Teil ist der Person und dem Leben des Autors gewidmet und illustriert einige wesentliche Momente seiner Biografie. Das gezeigte Bildmaterial wird durch Stellen aus "Les Mots" kommentiert. Es kann der Entscheidung der Lehrkraft überlassen bleiben, mit welchem der beiden Teile sie ihre Unterrichtseinheit beginnt. Denkbar sind sowohl ein Einstieg über die Biografie als auch der Beginn mit dem Stück. Die Sendung bietet die Möglichkeit, die Lektüre und Interpretation des Theaterstücks vorzubereiten und zu ergänzen. Die visuellen Impulse wirken anregend und auflockernd.

"Huis Clos" kann methodisch von mehreren Ansätzen her gedeutet werden. Möglich wäre es, das Stück von seinem biografisch/politischem Gehalt aus der Situation der Résistance im besetzten Paris zu erarbeiten. In der Sendung wird jedoch ein Zugang von Sartres philosophischen Ideen her versucht, da der rezeptionsgeschichtliche Ansatz für Schüler wohl schon zu fern liegt.
Zwar hat der Autor selbst lange nach der Abfassung des Stücks in einem Interview geäußert, hier gebe es nichts zu verstehen, aber es lässt sich kaum leugnen, dass zentrale Vorstellungen aus "L‘Être et le Néant" durch die Figuren des Stücks geradezu illustriert werden.

Im Lauf der Unterrichtseinheit sollen die Schüler/innen erkennen, dass die Sartre‘sche Hölle in der negativen Bezugnahme auf christliche Vorstellungen entfaltet wird. Sie sollen die Eigenart dieser speziellen Hölle verstehen und beschreiben. Sie werden feststellen, dass die erste Selbstdarstellung der Figuren im Theaterstück eine Äußerung der "mauvaise foi" ist, und können dann die späteren Geständnisse unter dem "regard de l’autre" (Inès) als Ausdruck verfehlter Lebenswege interpretieren. Die Schüler/innen sollen "Huis Clos" als Symbol begreifen und den Sinn des Stücks unter Einbeziehung ihrer persönlichen Meinung diskutieren.

Der Beginn der Sendung

Die Sendung setzt mit der Gegenüberstellung zweier Bilder ein: Mit der Darstellung der "Versuchung des Heiligen Antonius" von Grünewald einerseits, und einem Blick in den geschlossenen Raum, in dem sich "Huis Clos" abspielt, andererseits. Sinn dieser Gegenüberstellung ist es, die Eigenart der Sartre‘schen "enfer" sinnfällig zu machen und sogleich darauf zu verweisen, dass diese Höllenvorstellung als Opposition zu christlichen Vorstellungen zu verstehen ist. Sätze wie: "Où sont les pals?" oder "Vous êtes le bourreau" bekommen ihren Sinn erst aus der stillschweigenden Bezugnahme auf die klassische christliche Hölle. Dasselbe gilt für den "garçon" als säkularisiertem Relikt des Teufels, woran in dieser Aufführung die rote Uniform erinnert.

Visuell vermitteln die beiden Bilder ihre gegensätzlichen Weltentwürfe zunächst einmal über die Konzeption des Raums. Während die Darstellung der "Versuchung des Heiligen Antonius" die Vertikale betont, deren Fortsetzung in den unendlichen Raum für den Betrachter vorstellbar ist, wird der Schauplatz von "Huis Clos" durch die Horizontale und durch seine enge Begrenzung bestimmt. "Oben" und "Unten" als räumliche Kategorien sind dem Gläubigen Ausdruck einer objektiven Wertehierarchie. Das banale Hotelzimmer hingegen macht die Abwesenheit des Metaphysischen sinnfällig. Der metaphysische Raum ist zur psycho-sozialen Hölle geworden. Gleichwohl bleibt die Beklemmung auch hier erhalten, weil die Personen "wie in einer Falle" gefangen sind, wie dies Sartre für sein "théâtre de situation" fordert. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass Sartre paradoxerweise die Vorstellung von Ewigkeit beibehält als grausame, gleichförmige Heiligkeit: "Il ne fera donc jamais nuit?" – "Jamais". – "Tu me verras toujours?" – "Toujours".

Schwerpunkte der Interpretation

  • Die Bedeutung der Freiheit für das Menschenbild Sartres, die im Stück wiederum ex negativo erscheint. Aus der Situation der Gefangenschaft und der Unmöglichkeit, diese Situation als "Toter" zu verändern, geht die fundamentale Bedeutung der Freiheit für den "atheistischen Existentialismus" hervor.
  • Erarbeitung der Begriffe der "mauvaise foi" (etwa: innere Unwahrhaftigkeit) und des "regard de l’autre". Man kann beobachten, wie die "Chemie der Gruppe" (immer zwei gegen einen, abwechselnd als "victime" und als "bourreau") und das Licht, unter dem die Figuren dem Zuschauer erscheinen, sich ständig gemäß diesen Gesichtspunkten verändern, ohne dass sich im Grunde überhaupt etwas verändert.

Die in der Sendung gezeigten Ausschnitte wurden so gewählt, dass deutlich wird, wie die Figuren zunächst ein schmeichelhaftes Bild von sich selbst für sich selbst und für die anderen entwerfen. Insbesondere bei Garcin ist dieses Bild von der "mauvaise foi" geprägt. In einer zweiten Sequenz decken die Figuren dann unter dem sezierenden "regard de l’autre" ihre wahren Taten und Handlungsmotive auf (besonders unter dem Einfluss von Inès): Jeder hat sich schuldig gemacht, hat die "responsabilité" im Leben zurückgewiesen.

Es wird sich kaum vermeiden lassen, die schwierigen Sartre’schen Begriffe in vereinfachender Form zu vermitteln, aber es ist möglich, gewisse Grundlinien sichtbar zu machen: jede der drei Figuren hat ihr Leben verfehlt "manquer l’existence", weil sie "auf Erden" die "liberté" nicht genutzt hat, um den eigenen Existenzentwurf zu verwirklichen ("réaliser le project de soi-même"). Das heißt aber auch, dass sie die "responsabilité" nicht auf sich genommen hat, "parce qu‘ une fois jeté dans le monde, il est responsable de tout ce qu’il fait" ("L’existentialisme est un humanisme"). So verkörpern alle drei "une attitude inauthentique", "une existence aliénée ("L’Être et le Néant"). Die Tatsache, dass im Stück die Figuren auch im moralischen Sinn schuldig geworden sind, kompliziert die Deutung der "responsabilité" im philosophischen Sinn, macht das Stück aber für Schüler zugänglicher.

Schwierig wird es auch sein die ambivalente Bedeutung des "regard de l’autre" verständlich zu machen. In Sartres "Ich"-Konzeption spielt der Andere eine entscheidende Rolle. Das "Ich" steht in ständiger Wechselwirkung mit dem Anderen, es definiert seinen Standort unter dem Blick des Anderen. "Le regard de l’autre" verändert das Ich. "Ich sehe mich, weil man mich sieht". "Ich bin dieses Ich, das ein anderer erkennt", "indem ich Objekt für den anderen bin, werde ich mir meiner selbst bewusst". Der Blick des Anderen macht das Ich von ihm abhängig (Estelle), aber er verhilft auch zur Selbsterkenntnis. Die Selbstreflexion muss den Weg über den Anderen nehmen. "Autrui" ist "désintégration et aliénation", aber auch "révélateur de la liberté".

Alle diese Prozesse führt "Huis Clos" in vielfältiger Weise vor. Da aber die drei Personen "tot" sind, haben sie zwar noch die Möglichkeit ihre gescheiterten Lebensentwürfe einander vorzuführen und zu reflektieren, nicht aber, sie durch Handeln zu verändern. "Tote" (siehe Sartres Vorwort zur Ausgabe von 1965) können den Teufelskreis nicht mehr durchbrechen. In diesem Sinn wird der "regard de l’autre" für sie zur "torture". Sie erkennen, dass sie einander wechselweise "victime" und "bourreau" sind. Nur aus dieser Situation kann Garcins Ausspruch verstanden werden: "L’enfer, c’est les autres".

Unterrichtsvorschlag zur Arbeit mit den Theaterszenen

Es empfiehlt sich, entweder noch vor der Textlektüre oder begleitend, folgende Ausschnitte aus Sartres Aufsatz "L’existentialisme est un humanisme"Paris, Nagel 1970 bzw. Gallimard 1996 zu lesen:
Seite 21-27 : "L'existentialisme athée, que je représente" bis "en me choisissant, je choisis l'homme".
Seite 36-37 : "Dostoïevsky avait écrit : "Si Dieu n'existait pas, tout serait permis".” bis "C'est ce que j'exprimerai en disant que l'homme est condamné à être libre".
Seite 80-83 : "Mais on peut juger, cependant, car, comme je vous l'ai dit, on choisit en face des autres" bis "tout homme qui invente un déterminisme est un homme de mauvaise foi" und "Nous voulons la liberté pour la liberté"" bis "si je prends également celle des autres pour but".

Es ist ein nicht allzu schwieriger, klarer, ein wenig schematisierender Aufsatz, der die Begriffe "essentia" und "existentia" aus der scholastischen Theologie aufgreift und in ihr Gegenteil verkehrt. Der Aufsatz ist als eine Art Replik und Verteidigung gegen die Angriffe des christlichen Philosophen Gabriel Marcel entstanden. Überdies wären einige wenige Äußerungen über die "mauvaise foi" und den "regard de l’autre" nützlich. Allerdings sollte man beide Begriffe zunächst aus dem Text des Dramas erarbeiten, die theoretischen Äußerungen dazu sind für die Schüler überaus schwierig.

Für den Einsatz der Szenenausschnitte wird vorausgesetzt, dass die Schüler die Szenen gelesen haben und dass ihr lexikalisches Verständnis grob gesichert ist. Man sollte zunächst nur die beiden "Höllenräume" des Sendungsanfangs zeigen und ihre Gegenüberstellung nutzen, um Sartres "enfer" als Teil des "atheistischen Existentialismus" zu beschreiben.

  • Dazu könnte man zunächst eine meinungsbildende Schüleraktivität in Gang setzen: "Voilà deux conceptions de l’enfer. Et pour vous, l’enfer qu’est-ce que c’est? "



  • Dem schließt sich eine kognitive Arbeitsphase an, in der die Schüler die beiden "Räume" genau beschreiben und mit Hilfe der Lehrkraft ihre Deutung formulieren. "Décrivez le plus précisément possible ces deux images de l’enfer en tenant aussi compte de l‘idée de l’espace qu’elles suggèrent. "


  • Vor der Textinterpretation der Szenen 1 – 3 könnte man zunächst die "présentation" der Figuren durch die Sendung zeigen und versuchen, von den Bildern, Gesten und Aussagen her ein erstes Grobverständnis zu leisten. "Quelles sont vos premières impressions de ces personnages? " - "Qu’est-ce qui vous semble typique dans la manière de laquelle ils s’introduisent dans cette chambre? " - "Comment réagissent-ils vis-à- vis de cet intérieur qui les attend? "

Die große fünfte Szene wird im Unterricht aufgeteilt werden müssen. Die Sendung zeigt zunächst die "faux aveux". Auch hier könnte man ein globales Textverständnis vor der detaillierten Textanalyse mit Hilfe des Films erreichen:

  • "Qu’est-ce que Garcin et Estelle révèlent maintenant sur leur vie? "
  • "Relevez le rôle d‘ Inès dans cette conversation. "

Der übrige Teil der fünften Szene wird mit unwesentlichen Kürzungen gespielt. Er enthält die Bekenntnisse der wahren Lebensumstände, der jeweiligen Schuld, die gegenseitigen Verführungsversuche und sich steigenden Hassausbrüche, den gescheiterten Ausbruchversuch Garcins und die bitter-zynische Erkenntnis, dass man für immer zusammengeschmiedet ist.

Dieser Teil sollte erst nach der Textinterpretation vorgeführt werden, wobei es einen Versuch wert wäre, den Ausbruchversuch Garcins wiederum vor der Textarbeit im Bild zu zeigen, das Bild unmittelbar nach dem Satz Garcins "Je ne m’en irai pas" zu stoppen und Garcins "Sinneswandel" zu diskutieren.

  • "Pourquoi Garcin ne quitte-t-il pas la chambre après que la porte s’est ouverte, lui qui avait tellement envie de s’en aller? "

Der letzte Satz: "Eh bien, continuons" könnte Anlass zu einer kleinen eigenen Fortsetzung des Stücks durch die Schüler sein. Vielleicht sogar verfilmt?

Zum Abschluss sollte man die Szenen noch einmal als Ganzes vorführen, nachdem die Schüler ihre Meinung zu dem Stück geäußert haben.

Statt im Unterrichtsgespräch könnte man die Schüler die obigen Fragen auch in Gruppenarbeit beantworten lassen und dazu Arbeitsblätter 1 und 2 aushändigen.

Die Erarbeitung der Biographie

Man kann vor einem ersten Durchgang der Biographie im Film den Lückentext von Arbeitsblatt 3 (Biographie) ausgeben und während oder nach dem Betrachten ausfüllen lassen.

Bei einem zweiten Durchgang kann man die biographische Dokumentation in ihre zwei Teile aufgliedern: Zum ersten Teil, "Liberté" kann man als Verstehenshilfe und Vertiefung kleine Auszüge aus "Les mots" verwenden: Seite 18/19: "La mort de Jean-Baptiste fut la grande affaire de ma vie" bis "je n’ai pas de Sur-moi", Seite 37: "J’ai commencé ma vie comme je la finirai" bis "que la prospérité de notre famille en dépendait", Seite 52: "J’avais trouvé ma religion" bis "je n’en descendais jamais en personne" und Seite 211/212 "J’ai changé" bis "ce miroir critique lui offre son image." (Jean-Paul Sartre, Les Mots, Paris Gallimard, 1964.)

Nach dem zweiten Teil "Responsabilité" bietet sich eine Diskussion darüber an, inwieweit Sartre Freiheit und Verantwortlichkeit in seinem Leben zu verwirklichen versucht hat. Dazu kann man die Transkription der in der Sendung verwendeten Gesprächs-Ausschnitte mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir aushändigen.

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Leonore Zwölfer