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Dobro jutro heißt Guten Morgen | Hintergrund

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Autor/in
Stephan Müller

Balkan

Jugoslawien Ende des 20. Jahrhunderts

Eine Karte der "Volksrepublik Jugoslawien" zwischen 1945 und (Foto: SWR)
"Die Volksrepublik Jugoslawien" zwischen 1945 und 1992

Die Bundesrepublik Jugoslawien bestand aus den sechs Teilrepubliken Bosnien und Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Montenegro, Serbien und Slowenien. Zudem gab es innerhalb der Teilrepublik Serbien bis März 1989 die autonomen Provinzen Wojwodina und Kosovo, die begrenzte Selbstverwaltungsrechte genossen. Jugoslawien war ein Vielvölkerstaat mit Dutzenden Nationen. Die Serben stellten die größte ethnische Gruppe, gefolgt von den Kroaten, den Muslimen (Bosniaken) und den Albanern, Slowenen und Mazedoniern, Ungarn, Montenegrinern und Roma. Aber es lebten seit Generationen auch zehntausende Bulgaren, Türken, Rumänen, Ruthenen, Walachen oder Slowaken in Jugoslawien.

Nach dem Tode des Staatsgründers Tito im Jahre 1981, begannen die Probleme im einstigen sozialistischen Vorzeigeland Jugoslawien immer größer zu werden: Eine Wirtschaftskrise mit einer galoppierenden Inflation führte zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, und ein wirtschaftliches Ungleichgewicht zwischen den nördlichen Republiken (Slowenien, Kroatien) und den südlichen Republiken führte zu Unzufriedenheit und Disputen über die Rolle der einzelnen Republiken. Die Notwendigkeit einer Machtumverteilung zwischen den einzelnen Republiken und Ethnien, die noch verstärkt wurde durch die Umbrüche in den ehemals sozialistischen Staaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa, führte zu Auseinandersetzungen innerhalb Jugoslawiens über die zukünftige Entwicklung des Landes.

Zuerst forderten v.a. Slowenien und Kroatien mehr Kompetenzen für die Teilrepubliken, aber bei einem Verbleib der Republiken in einem reformierten Jugoslawien. Auf der anderen Seite tendierte Serbien, v.a. nachdem Slobodan Milosevic in 1988 zum Präsidenten ernannt worden war, zu einem zentralistischen, serbisch-dominierten Jugoslawien. Dies beinhaltete auch die Forderung nach verstärktem Schutz der Serben außerhalb Serbiens, d.h., in Kroatien und Bosnien und Herzegowina. Bosnien und Herzegowina nahm gemeinsam mit Mazedonien eine vermittelnde Position ein.

Neben der Staatspartei, dem Bund der Kommunisten Jugoslawiens, war das Staatspräsidium das entscheidende Gremium in Jugoslawien, in das die sechs Teilrepubliken und die beiden Autonomen Provinzen jeweils einen Vertreter entsandten. Mit der Abschaffung der Autonomie für den Kosovo und den 1988/1989 in der Wojwodina und Montenegro neu installierten Regierungen, die beide von Milosevic kontrolliert wurden, konnte Milosevic mit vier Sitzen im Staatspräsidium (Serbien, Montenegro, Kosovo, Wojwodina) alle Entscheidungen blockieren, u.a. die Forderungen der vier anderen Republiken nach mehr Selbstbestimmung gegenüber der Bundesrepublik.

Im Laufe des Jahres 1991 wurde es immer offensichtlicher, dass eine alle Seiten zufriedenstellende Lösung nicht mehr möglich war – und vielleicht auch nicht mehr gewollt war.

Kriege in Ex-Jugoslawien

1991: Slowenien

Im April 1990 fanden in Slowenien zum ersten Mal freie Mehrparteienwahlen statt. Die neu gewählte Regierung versuchte aber weiterhin eine Lösung mit der jugoslawischen Staatsführung im Rahmen einer genauer zu definierenden Konföderation zu finden, auch als im Dezember 1990, 88.2% der Slowenen in einem Referendum für die Unabhängigkeit Sloweniens stimmten.

Am 25. Juni 1991 erklärte Slowenien seine Unabhängigkeit und am 27. Juni 1991 kam es zu ersten Kämpfen. Im sog. Zehntageskrieg um Slowenien gab es nur wenige Tote zu beklagen: 44 auf Seiten der Armee und 18 auf Seiten der Aufständischen. Am 7. Juli wurde das Brioni Abkommen unterzeichnet, in dem Slowenien und Kroatien erklärten, ihre Unabhängigkeit für drei Monate auszusetzen und die Jugoslawische Volksarmee (JVA) erklärte, bis Ende Oktober 1991 Slowenien zu verlassen

1991-1995: Kroatien

Auch die nach den Wahlen im April und Mai 1990 amtierende neue Regierung in Kroatien strebte (zumindest offiziell) noch nicht die Unabhängigkeit Kroatiens an, sondern mehr Selbstbestimmung in einem reformierten Jugoslawien.

Mit der starken serbischen Minderheit im Land in Kroatien einigte sich die Regierung auf eine „kulturelle Autonomie“. Allerdings verschärften sich die Spannungen mit der Diskussion und der Annahme der neuen Verfassung im Juli 1990, die den Serben in Kroatien den bisherigen Status eines Staatsvolkes absprach. Die moderaten Vertreter der Serben in Kroatien wurden durch radikalere Kräfte ersetzt, die anstelle einer kulturellen Autonomie eine territoriale Autonomie in den überwiegend serbisch bewohnten Gebieten Kroatiens forderten und „Autonome Regionen“ in Kroatien gründeten.

Ab August 1990 kam es zu ersten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Serben und kroatischen Sicherheitskräften. Bis März 1991 unterstützte die JVA die serbischen Aufständischen nur indirekt, dann bekam sie offiziell den Auftrag von der Jugoslawischen Regierung, die serbischen Aufständischen zu unterstützen.

Nach dem Referendum über die Unabhängigkeit Kroatiens im Mai 1991, das vom größten Teil der Serben in Kroatien boykottiert worden war, und der darauf folgenden Unabhängigkeitserklärung im Juni 1991 begannen die serbischen Aufständischen, mit Unterstützung der JVA und paramilitärischer Einheiten aus Serbien, große Teile Kroatiens unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Sommer 1991 kontrollierten sie ca. ein Drittel des kroatischen Staatsgebietes. Ab Herbst 1991 gelang es kroatischen Kräften Gebiete zurückzuerobern Nachdem zuerst serbische Kräfte auf ihren Vormarsch Kroaten aus den Gebieten vertrieben hatten, die unter serbischer Kontrolle geraten waren, führten die Rückeroberungen zur Vertreibung von Serben.

Im Dezember 1991 erklärte die EU, Kroatien im Januar 1992 anzuerkennen, woraufhin die Serben in der kroatischen Region Kraijna die Unabhängigkeit der „Republik Serbische Krajina“ ausriefen. Im Januar 1992 wurde auch ein Waffenstillstand ausgehandelt, der die Kampfhandlungen vorerst beendete und ein Überwachungsmandat der Vereinten Nationen (UNPROFOR) einleitete, welche die weiterhin von Serben kontrollierten Gebiete überwachen sollte. Damit wurde ein (vorläufiges) Ende der Kämpfe erreicht, aber trotz der Präsenz der Einheiten der Vereinten Nationen blieb eine Rückkehr der Vertriebenen in ihre Heimatorte unmöglich. Die Einheiten der JVA verließen das Land – wurden allerdings v.a. in Bosnien und Herzegowina stationiert.

Im Mai und August 1995 führten kroatische Militäraktionen zur Rückeroberung des größten Teils der „Republik Serbische Krajina“. Dabei wurden bis zu 200.000 Serben von den kroatischen Einheiten vertrieben bzw. in die Flucht geschlagen. Bis heute konnte nur ein Teil der Vertriebenen zurückkehren.

Eine Karte der Ethnischen Mehrheiten auf dem Balkan 1991 (Foto: SWR)
Die Ethnischen Mehrheiten auf dem Balkan 1991

1992-1995: Der Krieg in Bosnien und Herzegowina

Vorgeschichte

Die ersten freien Mehrparteienwahlen in Bosnien und Herzegowina im November/Dezember 1990 gewannen nationalistische Parteien, die die drei großen Ethnien vertraten. Sie einigten sich auf eine gemeinsame Regierung mit einem Bosniaken als Präsidenten, einem Serben als Parlamentspräsidenten und einem Kroaten als Ministerpräsidenten.

Die Bosniaken und die bosnischen Kroaten befürworteten (zumindest offiziell) bis Herbst 1991 den Verbleib eines souveränen Bosnien und Herzegowinas in einem reformierten Jugoslawien, obwohl es auch unter den bosnischen Kroaten Kräfte gab, die einen Anschluss kroatisch besiedelter Teile an Kroatien befürworteten. Die bosnischen Serben hingegen befürworteten ein neues Jugoslawien, bestehend aus Serbien, Montenegro und den serbischen Gebiete in Kroatien und Bosnien und Herzegowina.

Die Entscheidung der internationalen Staatengemeinschaft, die Unabhängigkeit Kroatiens (und Sloweniens) zum 15. Januar 1992 anzuerkennen, bedeutete das endgültige Ende des bisherigen Jugoslawiens und zwang Bosnien und Herzegowina dazu, sich zu entscheiden, ob es auch unabhängig werden oder in einem serbisch dominierten Rest-Jugoslawien verbleiben sollte. Ende Februar/Anfang März 1992 wurde eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit durchgeführt. Während die bosnischen Serben die Abstimmung boykottierten, sprach sich die Mehrheit der Bosniaken und bosnischen Kroaten für die Unabhängigkeit aus. Am 5. März 1992 erklärte das Parlament Bosnien und Herzegowinas die Unabhängigkeit der Republik.

Der Krieg

Anfang April 1992 begann der Krieg in Bosnien und Herzegowina. Die drei großen ethnischen Gruppen versuchten, Gebiete militärisch und zivil zu kontrollieren und damit den Anspruch der eigenen Ethnie auf dieses Gebiet zu untermauern. Da die Jugoslawische Volksarmee die bosnischen Serben unterstütze, konnten diese zu Kriegsbeginn größere Gebiete besetzen.

Doch gab es nur wenige Gebiete, die „ethnisch rein“ waren, in denen nur eine ethnische Gruppe wohnte. Daher ging die Kontrolle dieser Gebiete zumeist mit der Vertreibung der Angehörigen anderer Ethnien einher.

Das Beispiel Ostbosnien illustriert die Katastrophe, welche die Politik der „ethnischen Säuberungen“ hervorgerufen hat: Viele Städte hatten bis Kriegsbeginn eine bosniakische Mehrheitsbevölkerung, während die umliegenden Dörfer meistens entweder serbisch oder bosniakisch besiedelt waren. Allerdings reklamierten die bosnischen Serben ganz Ostbosnien, auch die mehrheitlich bosniakisch bewohnten Städte und Dörfer, als ihrem Gebiet zugehörig und versuchten schon im Frühjahr 1992 sie unter ihre Kontrolle zu bringen. Dazu gehörte auch, die nicht-serbische Bevölkerung (Bosniaken, aber auch Roma) aus den Städten und Dörfern zu vertreiben. Bei dieser organisierten Vertreibung („ethnische Säuberung“) wurden v.a. von paramilitärischen Einheiten schlimmste Verbrechen wie willkürliche Ermordung von Zivilisten, Vergewaltigung und Folter, begangen.

Im Laufe des Krieges machten sich dann alle drei großen Volksgruppen der gewaltsamen Vertreibung von Menschen anderer Ethnie schuldig. Das Ziel war die Schaffung „ethnisch reiner“ Gebiete, um den Herrschaftsanspruch einer Ethnie zu zementieren. Die dabei begangenen schweren Verbrechen sollten dazu beitragen, eine Rückkehr der Vertriebenen zu verhindern. Dabei kam es nicht nur zu Kämpfen zwischen den bosnischen Serben auf der einen Seite und den Bosniaken bzw. bosnischen Kroaten auf der anderen Seite; auch Bosniaken und bosnische Kroaten bekämpften sich untereinander.

Paradoxerweise trugen die „Friedensbemühungen“ der internationalen Vermittler zu diesen Vertreibungen und den dabei begangenen Verbrechen bei.

Die internationalen Vermittler legten seit 1992 immer wieder Vorschläge zur Teilung des Landes entlang ethnischer Linien vor. In Antwort auf diese Vorschläge versuchten die Kriegsparteien, Tatsachen zu schaffen und strittige Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen. Wenn die Vermittler ein Gebiet der Partei A zuschlagen wollten, konnte es passieren, dass die Armee der Partei A dieses Gebiet besetzte und die Angehörigen anderer Ethnien vertrieb oder dass Partei B das Gebiet besetzte und die Angehörigen der Volksgruppe A vetrieb, um die internationalen Vermittler dazu zu bringen, das Gebiet nicht der Partei A, sondern der Partei B zuzuschreiben.

Insgesamt kamen über 100.000 Menschen in diesem Krieg ums Leben; ca. 60% waren Soldaten und 40% Zivilisten. 65% der getöteten Soldaten waren Bosniaken, 25% Serben und 8% Kroaten. 83% der zivilen Opfer waren Bosniaken, 10% Serben und 5% Kroaten.

2.2 Millionen Menschen, was ungefähr der Hälfte der Bevölkerung entsprach, wurden im Verlaufe des Kriegs vertrieben, von denen bis heute nur ein Teil zurückkehren konnte.

Krieg und Friedensverhandlungen

Einen ersten Fortschritt in den Friedensverhandlungen konnte man im März 1994 erzielen, als im Washingtoner Abkommen eine Föderation aus den bosniakisch und kroatisch kontrollierten Gebieten ins Leben gerufen wurde, das auch die Kämpfe zwischen Bosniaken und Kroaten beendete.

Im Sommer 1995 dann erreichte der Krieg in Bosnien und Herzegowina eine neue Dimension. Im Juli 1995 eroberten die Truppen der bosnischen Serben die beiden UN-Schutzzonen Srebrenica und Zepa und ermordeten mehrere tausend Männer, trotz der Präsenz von Einheiten der Vereinten Nationen und deportierten zehntausende Frauen und Kinder. Auf der anderen Seite konnte die aufgerüstete kroatische Armee (in Bosnien mit Unterstützung der bosnischen Regierungsarmee) serbisch gehaltene Gebiete in Kroatien und in Bosnien und Herzegowina zurückerobern, was zur Flucht bzw. Vertreibung hunderttausender Serben führte.

Ende August 1995 kam es dann zu einem einschneidenden Ereignis. Ein Granatangriff auf einem Markt in Sarajevo am 28. August 1995 tötete 37 Menschen, worauf die NATO am 30. August mit Luft- und Artillerieangriffen auf Stellungen der bosnischen Serben antwortete, die sich bis Mitte September 1995 fortsetzten.

In diesen Sommermonaten wurde auch ein neuer Friedensplan entwickelt und am 26. September 1995 wurde ein „Agreement on Basic Principles“ verkündet, das zur Grundlage des endgültigen Friedensabkommens von Dayton werden sollte.

Schon im Jahre 1993 hatten die die Vereinten Nationen beschlossen einen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien einzurichten (International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia). Dieser Strafgerichtshof sollte „schwere Verletzungen der Genfer Konventionen, Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verfolgen.

Das Friedensabkommen von Dayton

Der offizielle Titel des Abkommens lautet „General Framework Agreement for Peace in Bosnia and Herzegovina“ (GFAP). Nach langen Verhandlungen auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Dayton in Ohio kam es am 21. November 1995 zu einer Einigung und am 14. Dezember 1995 wurde in Paris das Friedensabkommen für Bosnien-Herzegowina feierlich unterzeichnet.

Bei der wichtigsten Frage, der territorialen Gliederung, wurde eine de jure Teilung des Landes vermieden, in dem ein Konstrukt gefunden wurde, das zwei gleichberechtigte Entitäten, die bosniakisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska (RS), vorsieht, die den Gesamtstaat Bosnien und Herzegowina bilden. Die Föderation erhielt ca. 51% und die RS ca. 49% des Territoriums. Neben diesen beiden Entitäten gibt es noch das Sonderverwaltungsgebiet um die Stadt Brcko, das keiner der beiden Entitäten zugeschlagen wurde.

Bosnien und Herzegowina heute

Auch wenn es kaum noch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Volksgruppen kommt, bleibt das Land entlang unsichtbarer Linien geteilt. Die wirtschaftliche Lage ist katastrophal und die Entscheidung, alles nach ethnischem Proporz aufzuteilen, hat eine ethnische Klientelpolitik mit Korruption und Inkompetenz geradezu befördert.

Karte von dem Balkan seit 2006 (Foto: SWR)
Bosnien und Herzegowina heute

Das Abkommen von Dayton hat den Krieg beendet, war aber weniger dazu geeignet, ein neues demokratisches, multi-ethnisches Bosnien und Herzegowina aufzubauen. Es schrieb in vielen Bereichen die Ergebnisse von ethnischen Säuberungen und Kriegsverbrechen fest, was unter anderem darin zu sehen ist, dass der größte Teil der Vertriebenen nicht zurückkehren konnte.

Zudem sah das Dayton Abkommen eine komplizierte politisch-administrative Struktur vor, die das Land nahezu unregierbar macht. Der Zentralstaat Bosnien und Herzegowina, die beiden Entitäten „Föderation“ und „Republika Srpska“, das Sonderverwaltungsgebiet Brcko und die zehn Kantone innerhalb der Föderation haben alle ihre eigene Regierung. So gibt es in dem Land mit ca. 4,5 Millionen Einwohnern zum Beispiel alleine dreizehn Erziehungsministerien.

Das Abkommen missachtete auch die Rechte der Menschen, die nicht Bosniaken, Serben oder Kroaten sind. Diese dürfen sich z.B. heute noch nicht um bestimmte politische Ämter bewerben, da diese nur Bosniaken, Serben oder Kroaten vorbehalten sind. Selbst die erfolgreiche Klage eines bosnischen Juden und eines bosnischen Rom vor den Europäischen Menschengerichtshof führte nicht zu einer Änderung dieser Situation.

Der Krieg in Zvornik

Karte, wo Bosnien-Herzegowina markiert ist (Foto: SWR)
Der Krieg in Zvornik

Die Gemeinde Zvornik, bestehend aus der Stadt Zvornik und einigen Dutzend Dörfern, hatte 1991 laut Volkszählung 81.111 Einwohner, davon 48.208 Bosniaken (59,4%) und 30.839 Serben (38%). Im Gebiet der Stadt Zvornik lebten 14.660 Personen, davon waren 8.942 Bosniaken (61,0%), 4.281 Serben (29,2%). 923 Personen bezeichneten sich als „Jugoslawen“ (6,3%) und 440 als „Andere“ (3,0%). Die Dörfer waren zumeist von einer Ethnie dominiert.

Zvornik, nur durch den Fluss Drina von Serbien getrennt, hatte eine wichtige strategische Position inne, da die Kontrolle der Stadt eine Kontrolle der Korridore Belgrad - Tuzla und Belgrad – Sarajewo bedeutete.

In Zvornik gab es keine Garnison der Jugoslawischen Volksarmee JVA; allerdings wurden noch vor Beginn des Krieges Panzer-, Artillerie- und Flugabwehreinheiten der JVA um Zvornik herum stationiert: Truppen, die Kroatien nach dem Waffenstillstand verlassen mussten, wurden in Bosnien und Herzegowina stationiert, u.a. eben auch in und um Zvornik.

In den Monaten vor dem Krieg begannen sich bereits Spannungen zwischen Bosniaken und Serben aufzubauen, aber es gab auch gemeinsame Demonstrationen von Angehörigen beider Volksgruppen für ein friedliches Zusammenleben.

Am 8. April 1992 begann der Krieg in Zvornik mit heftigem Granatbeschuss der Stadt von den Stellungen der JVA um Zvornik, der bis zum Morgen des 9. April dauerte. Dann besetzten serbische paramilitärische Einheiten die Stadt. Die „Vorübergehende Regierung“ der „Serbischen Gemeinde Zvornik“ übernahm die zivile Macht in der Stadt.

Viele Bosniaken waren aus der Gemeinde geflohen. Die verbliebenen bosniakischen Männer mussten immer mit willkürlicher Verhaftung und mit Angriffen rechnen. Nach einiger Zeit rief die serbische Führung über Medien die Flüchtlinge auf, zurückzukehren, da die Lage sich beruhigt habe und niemand etwas zu befürchten habe. Zudem müsse jeder sein Eigentum registrieren lassen, da es sonst an die Gemeinde fallen würde. Tatsächlich folgten vor allem ab Ende April 1992 tausende Flüchtlinge diesem Aufruf und kehrten zurück.

Allerdings diente dieser Rückruf nur der Vorbereitung der endgültigen und organisierten Vertreibung aller Nicht-Serben aus Zvornik. Ab ca. 10. Mai begann wieder der Terror gegenüber der Zivilbevölkerung, es kam zu Gewalttaten, und viele Männer wurden in illegalen Lagern gefangen gehalten, gefoltert und ermordet.

Wenn Bosniaken die Stadt verlassen wollten, mußten sie ihr Eigentum der „Serbischen Gemeinde Zvornik“ überschreiben, denn nur so konnten sie einen Passierschein erhalten. Die Repressalien und Gewalttaten zeigten „Erfolg“ und von Ende Mai bis Ende Juni wurde an manchen Tagen die bosniakische Bevölkerung ganzer Stadtteile oder Dörfer der Umgebung deportiert. Ein großer Teil der Vertriebenen wurden mit Bussen nach Serbien und von da aus nach Subotica an die serbisch-ungarische Grenze gebracht. Von da aus wurden sie mit Zügen nach Westeuropa, v.a. nach Österreich deportiert.

Ende Juni 1992, nach drei Monaten, war der größte Teil der Gemeinde Zvornik unter serbischer Kontrolle und nur einige wenige Bosniaken konnten bleiben. Zehntausende waren vertrieben worden, und über 4000 Menschen aus Zvornik wurden im Krieg ermordet oder gelten als vermisst. Schon während des Krieges wurden Serben, die aus anderen Teilen Bosnien und Herzegowinas vertrieben worden waren, in Zvornik angesiedelt. Nur einige Dörfer im westlichen Gemeindegebiet, die nach dem Krieg die Gemeinde Sapna gründeten, blieben unter der Kontrolle der Bosniaken.

Heute leben in der Gemeinde Zvornik ca. 65.000 Menschen, überwiegend Serben und in der Gemeinde Sapna nach Schätzungen ca. 14.000 Menschen, fast ausschließlich Bosniaken.

Das Vorgehen des Militärs und der serbischen Verantwortlichen für die „ethnischen Säuberungen“ in Zvornik wurde ausführlich dokumentiert und die verantwortlichen Personen für die Verbrechen sind bekannt. In Serbien wurden mehrere Serben wegen ihrer Beteiligung an Kriegsverbrechen in Zvornik zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Aber auch in Anklagen des Internationalen Gerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien gegen prominente ehemalige Politiker und bei Verurteilungen spielen die Verbrechen in Zvornik eine wichtige Rolle, denn das Beispiel Zvornik zeigt, dass die „ethnischen Säuberungen“ von Seiten der politischen und militärischen Führung Serbiens und der bosnischen Serben geplant und zielgerichtet waren. (Anklagen u.a. gegen den ehemaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic, den ehemaligen Präsidenten der Serbischen Republik Radovan Karadzic und den serbischen Politiker und Freischärler Vojislav Seselj - Verurteilungen u.a. der beiden bosnisch-serbischen Politiker Momcilo Krajsnik und Biljana Plavsic).

Jugoslawien – Das Land, der Nationen, Nationalitäten und Ethnien

Das Jugoslawische Recht kannte Nationen (Ethnien, die über eine Teilrepublik verfügten), Nationalitäten (Ethnien, die über einen „Heimatstaat“ außerhalb Jugoslawiens verfügten, zB Ungarn oder Albaner) und Ethnische Gruppen (Ethnien, die über keinen Staat verfügten, zB Roma). Die sechs Teilrepubliken waren alle von mehreren Volksgruppen bewohnt. In den Kriegen wurde von jedem erwartet, dass er/sie sich zu einer Ethnie bekannte und entsprechend Partei ergriff, auch wenn die Eltern verschiedenen Ethnien angehört hatten, oder wenn man/frau sich selbst nicht als einer Gruppe zugehörig fühlte oder man sich einfach als Jugoslawe oder als Bosnier sah. Nach Schätzungen soll in Bosnien und Herzegowina vor dem Krieg ca. ein Viertel der Bevölkerung entweder aus Familien stammen, unter deren Vorfahren mehr als eine ethnische Gruppe zu finden ist, oder selbst in einer „gemischten“ Ehe leben. Im Krieg musste man aber Serbe, Kroate, Bosniake oder Albaner sein und viele, die sich nicht zwingen lassen wollten, mussten das Land verlassen.

Die offiziellen Ergebnisse der Volkszählungen können diese ethnische Vielfalt nicht wiedergeben. Hinzu kommt noch, dass Angehörige kleinerer Minderheiten wie die Roma oder Walachen in Volkszählungen oft ihre ethnische Identität verleugnen und sich als Angehörige der sie umgebenden ethnischen Mehrheit bezeichnen (so wird die tatsächliche Anzahl der Roma auf das 4-5fache der Ergebnisse der Volkszählungen geschätzt). Im Krieg standen sie zwischen den Fronten und mussten sich für eine der kriegführenden Parteien entscheiden oder fliehen.

Die unten angeführten Angaben über die ethnische Zusammensetzung der einzelnen Republiken sind also mit Vorsicht zu genießen, auch da in Serbien und Mazedonien die dortigen Albaner die Volkszählung 1991 größtenteils boykottierten und ihre Anzahl geschätzt wurde.



Größte Bevölkerungsgruppen in den einzelnen Republiken in % (Volkszählung 1991)

Bosnien und Herzegowina: Bosniaken/Muslime: 43.5%; Serben: 31.2%; Kroaten: 17.4%; Jugoslawen 5.5%
Kroatien: Kroaten: 78.1%; Serben: 12.2%, Jugoslawen: 2.2%
Mazedonien: Mazedonier: 65.3%; Albaner: 21.7% Montenegro: Montenegriner: 61.9%; Bosniaken/Muslime: 14.6%; Serben: 9.3%; Albaner: 6.6%; Jugoslawen: 4.2%
Serbien (ohne Kosovo): Serben: 80.3%; Ungarn 4.5%; Jugoslawen 4.1%; Bosniaken/Muslime: 2.3%;
Slowenien: Slowenen: 88.3%; Kroaten: 2.8%; Serben: 2.5%


Zahlen der letzten Volkszählungen

Bosnien und Herzegowina: keine neue Daten verfügbar!
Kroatien (2001): Kroaten: 89.6%; Serben: 4.5%, Bosniaken 0.5%; Andere 3.6%
Mazedonien (2002): Mazedonier: 64.2%; Albaner: 25.2%; Turks: 3.9%; Roma/Ashkali 2.9%
Montenegro (2011): Montenegriner: 44.98%; Serben: 29.73%; Bosniaken/Muslime/Gorani: 12.19%; Albaner: 4.91%
Serbien ohne Kosovo (2002): Serben: 82.9%; Ungarn 3.9%; Bosniaken/Muslime: 2.1%; Roma: 1.4%
Slowenien (2002): Slowenen: 83.1%; Serben: 2.0%; Kroaten: 1.8%; Bosniaken/Muslime: 1.6%


Überwiegend in den Städten bezeichneten sich viele Menschen als Jugoslawen. Ihr Rückgang von 1981 zu 1991 wirkt wie ein Vorzeichen für die späteren Konflikte.

Jugoslawen 1981 - 1991
Jugoslawen 1981Jugoslawen 1991
Slowenien1.40.6
Kroatien8.22.2
Bosnien und Herzegowina7.95.5
Mazedonien
Montenegro5.34.2
Serbien (mit Wojwodina; ohne Kosovo)5.74.1

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