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Sprechertext Folge 1: Mikroben und ihre Killer

Aufrüstung, Aufklärung, Angriff und Abwehr, stereotype Aktionen des Krieges seit Menschengedenken. Erst im ausgehenden 19. Jahrhundert beginnt sich eine faszinierende Erkenntnis durchzusetzen: Auch im menschlichen Körper findet eine Dauerschlacht statt, allerdings gegen Bakterien, Viren und Parasiten.


Kaum einer ist sich dessen bewusst: Jede Sekunde, jede Stunde, jeden Tag geht es ums Überleben. So wie das Gehirn Wahrnehmung und Bewegung steuert, so sorgt eine weitere geniale Erfindung der Natur für unsere Gesundheit: das Immunsystem.


Verletzte Haut. Die äußere Schutzhülle des Immunsystems ist durchbrochen, und in die Blutbahn können Krankheitserreger eindringen. Dank der Blutgerinnung schließt sich die Wunde nach kurzer Zeit. Doch mittlerweile kann schon eine Infektion stattgefunden haben. Zum Beispiel mit Eiterbakterien oder Tetanusbazillen, den gefährlichen Erregern des Wundstarrkrampfs.


Meist verlaufen Infektionen ohne merkliche Krankheitszeichen, dank eines raffinierten Abwehrsystems, das im Laufe der Evolution entstanden ist.

Pfeil nach obenDamit beschäftigte sich der russische Gelehrte Ilja Metschnikoff. Er erforschte das Leben im Meer und fand dort einen der Schlüssel zum Verständnis des Immunsystems. Seine Kenntnisse einfacher Meeresorganismen, vor allem aber seine Experimente mit den Larven des Seesterns führten ihn auf die richtige Spur. Davon handelt der russische Spielfilm: "Pláta sa Ístinu", "Der Preis für die Wahrheit". Metschnikoff hat immer wieder die gleichen schemenhaften Bilder vor Augen: Besitzt der Mensch Abwehrzellen, die sich ähnlich verhalten wie einzellige Meeresorganismen?


Metschnikoff: "Ich beschließe, einen Rosendorn in eine Seesternlarve zu stechen. Werden die Zellen zu dem Dorn wandern? Wenn sie das tun, dann sind sie nicht nur auf Nahrung aus. Sie sind zugleich Sanitäter, die Schutz bieten vor feindlichen Eindringlingen. Bilde ich mir diese Umzingelung nur ein?"

Als Metschnikoffs Frau einen Splitter in ihrem Finger erwähnt, stellt er sich vor, dass weiße Blutkörperchen diesen Fremdkörper angreifen, ähnlich wie er es in der Seesternlarve beobachtet hatte. Metschnikoff versucht seine Idee zu erhärten, indem er den Zellen Karminrot zusetzt. Tatsächlich verschlingen die Zellen den Farbstoff. Aber werden so auch Krankheitserreger vernichtet? Metschnikoff wird schließlich recht behalten. Im Jahre 1908 erhält er den Nobelpreis. Doch bis dahin hat er noch einen weiten Weg vor sich.


Immer wieder beobachtet er unter dem Mikroskop den Krieg der Fresszellen gegen die Mikroben. Er sammelt Beweise und veröffentlicht seine Überlegungen. Doch in Fachkreisen stößt er überwiegend auf Ablehnung. Zu abwegig erscheint seine Theorie. Fresszellen im Körper des Menschen? Das muss seinen Zeitgenossen wie eine Utopie vorgekommen sein.


Wenn Krankheitserreger in den Körper des Menschen eindringen, kommt es tatsächlich zu einem Abwehrkampf, der an Szenen aus Science-Fiction-Filmen erinnert. Viren, Bakterien oder Parasiten treffen auf die Raumpatrouillen im "Mikrokosmos Immunsystem": die Fresszellen. Ihre Greifer packen alles, was irgendwie verdächtig oder fremd erscheint. Der Tastsinn ist nur sehr grob, verschiedene Erreger können sie kaum voneinander unterscheiden. Fresszellen zählen daher zur unspezifischen Abwehr. Sie sind aber als schnelle Eingreiftruppe wichtig, um Krankheitserreger im Frühstadium zu bekämpfen.


Fresszellen haben noch eine weitere wichtige Funktion. Sie zerlegen die Erreger, präsentieren Bruchstücke davon wie einen Steckbrief an ihrer Oberfläche und alarmieren weitere Zellen des Immunsystems, die dann gezielt vorgehen können.


Fresszellen bei ihrer Lieblingsbeschäftigung. Sie verleiben sich Krankheitserreger ein. Die gefräßigen weißen Blutzellen gelten nicht nur als Gesundheitspolizei, sie besorgen zugleich die Müllabfuhr. Mit ihren Fangarmen greifen sie Fremdkörper aller Art und beseitigen auch abgestorbene Zellen.


Pfeil nach obenZu den einstigen Gegnern Metschnikoffs zählte der deutsche Forscher Paul Ehrlich. Er vertrat die damals vorherrschende Lehrmeinung: Im Blut des Menschen gäbe es Gegengifte, die Krankheitserreger direkt unschädlich machten. Den Nachweis hatte schon der Nobelpreisträger Emil von Behring geführt.


Ein einfacher Versuch schien die Theorie Metschnikoffs zu widerlegen. Dazu war nur das Blut eines Menschen nötig, der eine Infektion erfolgreich überstanden hatte. Trennte man alle Zellen durch Zentrifugieren ab, so blieb ein gelbliches Serum. Und das hatte eine antibakterielle Wirkung, ganz ohne Zellen!


Über die Gegengifte, die sogenannten Antitoxine, will Paul Ehrlich mehr herausfinden. Er verabreicht Mäusen zunächst Spuren eines Giftes und steigert die Menge nach und nach. Schließlich ist die Dosis so hoch, dass Tiere einer unbehandelten Vergleichsgruppe sofort sterben. Die an das Gift gewöhnten Tiere bleiben dagegen gesund. Paul Ehrlich schließt daraus: Antitoxine im Blut bilden sich als Reaktion auf das Gift.


Die Popularität eines Louis Pasteur oder Robert Koch erreichte Paul Ehrlich in Deutschland nie, seiner jüdischen Abstammung wegen. So blieb es den Amerikanern vorbehalten, den genialen Wissenschaftler mit dem Spielfilm "Dr. Ehrlich's Magic Bullet", also "Dr. Ehrlichs Zauberkugel" zu würdigen.

Edward G. Robinson als Paul Ehrlich und Otto Kruger als Emil von Behring.


Ehrlich: "Damit ist bewiesen, dass Immunität nicht von der Blutbeschaffenheit abhängt, wie Du glaubst, sondern es ist irgend etwas im Blut, eine spezifische Substanz, die man schaffen kann, Antikörper, wenn Du willst, eine chemische Kampftruppe, die die feindlichen Mikroben und Gifte zerstört."

Behring: "Dann ist mein Gedanke, Widerstand gegen Krankheiten durch Übertragung von Blutserum eines Tieres auf ein anderes zu erzielen..."

Ehrlich: "...ist vollkommen richtig."

Paul Ehrlich war seiner Zeit weit voraus. Er hatte klare Vorstellungen von der Wirkungsweise der Antitoxine und hat seine Vision in phantasievolle Skizzen umgesetzt.


Giftstoffe nähern sich einer Zelle. Diese bildet an ihrer Oberfläche Gegengifte, die wie ein Schlüssel ins Schloss der Eindringlinge passen. So erklärte sich Ehrlich ihre neutralisierende Wirkung. Zusätzlich wirft die Zelle Gegengifte ab. Als bewegliche Antitoxine machen sie Giftstoffe oder Mikroben im Blut unschädlich. Paul Ehrlichs Theorie hat sich bestätigt.


Das Abwehrsystem des Menschen verfügt tatsächlich über raffinierte Lenkwaffen, die Krankheitserreger gezielt attackieren. Solche Antikörper tragen an ihren beiden Armen Rezeptoren, die wie Steckschlüssel auf die Oberflächenstrukturen bestimmter Erreger passen. Derartige Erkennungsmerkmale nennt man auch Antigene. Durch das Umhüllen verhindern die Antikörper, dass Krankheitserreger körpereigenen Zellen gefährlich werden können. Außerdem werden Erreger als fremd markiert und sind nun leichte Beute für die Fresszellen. Die Fresszellen haben Greifer, die genau auf den Stiel von Antikörpern passen. Die unerwünschten Eindringlinge können gezielt vernichtet werden.

Pfeil nach obenEin weiter Ausschnitt aus dem Film "Dr. Ehrlich's Magic Bullet": Eine Diphterie-Epidemie zwingt Emil von Behring und Paul Ehrlich dazu, ihre noch vagen Ideen in die Tat umzusetzen. Schwerkranken Kindern spritzen sie Antikörper aus dem Blut infizierter Tiere. Diese sogenannte passive Immunisierung ist erfolgreich. Die Kinder genesen. Die "magic bullets", die Zauberkugeln, wie Paul Ehrlich die Antikörper nannte, haben gewirkt.


Das Blutserum immunisierter Tiere war lange Zeit die wichtigste Waffe gegen verbreitete Infektionskrankheiten. Erst die aktive Immunisierung brachte vorbeugenden Schutz.

Pfeil nach obenEdward Jenner gilt als geistiger Vater der modernen Schutzimpfung. Im 18. Jahrhundert sind die schwarzen Pocken stark verbreitet, eine häufig tödlich verlaufende Erkrankung. Der englische Landarzt führt die damals übliche Impfmethode, die Variolation, durch. Eiter aus den Pockenpusteln eines Infizierten wird in die Haut des Impflings geritzt. Erholt er sich nach der Infektion, ist er fortan gegen die Pocken gefeit. Allerdings trägt der Geimpfte die Viren vorübergehend in sich und kann andere Personen anstecken.


Jenner findet immer wieder eine alte Beobachtung bestätigt: Wer eine Infektion mit den harmlosen Kuhpocken überstanden hat, dem können die gefährlichen schwarzen Pocken nichts mehr anhaben. Einer Magd, die an Kuhpocken erkrankt ist, entnimmt er Eiter und impft damit einen gesunden Jungen. Nach Wochen wiederholt er die Prozedur mit den gefürchteten menschlichen Pocken. Der Junge bleibt gesund, Jenners gewagtes Experiment ist geglückt.


Die Impfung mit dem harmlosen Erreger der Kuhpocken schützt also vor der gefährlichen menschlichen Variante. Damit ist ein neues Prinzip gefunden, dessen Wirkungsweise erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgedeckt werden sollte: Die Commander des Immunsystems, die T-Helferzellen.

Pfeil nach oben Der Abwehrkampf geschieht im weitverzweigten Netz der Blut- und Lymphbahnen.


Die Commander des Immunsystems, die T-Helferzellen. Bei jeder Infektion, also auch bei jeder Impfung, koordinieren sie die Abwehr. Jede T-Zelle erkennt mit ihren Rezeptoren ein spezielles, fremdes Antigen. Verdächtige Objekte werden von Fresszellen aufgespürt, verschlungen und in Bruchstücke zerlegt. Ein Lift befördert diese Antigene an die Oberfläche und zeigt sie auf einem Präsentierteller. Passt der Rezeptor einer T-Zelle sowohl auf das Antigen als auch auf den Präsentierteller, und gibt die Fresszelle ein zusätzliches Startsignal, können die T-Zellen aktiv werden und sich teilen. Das Ziel der T-Zellen sind die Waffenfabriken des Immunsystems: die B-Zellen. Sie tragen Antikörper als Rezeptoren und stellen diese Waffen nach Bedarf her.


Ihre Produktionsbereitschaft zeigen die B-Zellen, indem sie ein Bruchstück des zu bekämpfenden Erregers als Antigen präsentieren. Erst wenn eine T-Zelle andockt und mithilfe von Botenstoffen das richtige Signal gibt, kann die Waffenproduktion anlaufen. Die B-Zellen teilen sich und stellen passende Antikörper in großer Zahl her. Von der Infektion bis zur Antikörperbildung vergehen zwar mehrere Tage. Dafür ist aber diese spezifische Form der Abwehr äußerst wirkungsvoll. Tobt der Kampf im menschlichen Körper besonders heftig, kann sich das durch Fieber oder andere Krankheitszeichen bemerkbar machen. Einige Antikörper können Erreger direkt zerstören. Andere brauchen die Hilfe der Fresszellen.


Bei jedem siegreichen Abwehrkampf lernt das Immunsystem, sich gegen erneute Attacken des gleichen Erregers zu wehren: Es bildet Gedächtniszellen. Sie sind sofort einsatzbereit, wenn schon bekannte Viren oder Bakterien den Organismus angreifen. Die so erlangte Immunität schützt vor einer neuerlichen Erkrankung.


Den Abwehrkampf bestreiten also Zellen und bestimmte Stoffe im Blut - wie die Antikörper - gleichermaßen. Die Auffassungen von Paul Ehrlich und Ilja Metschnikoff standen also nicht im Widerspruch. Gemeinsam erhielten sie im Jahre 1908 den Nobelpreis für Medizin.

Pfeil nach obenEine Krankheit, von der schon viele Menschen geglaubt haben, sie gehöre der Vergangenheit an, trat plötzlich in furchtbarer Form wieder auf. Pocken oder Variola Vera sind eine ansteckende Krankheit, die leicht übertragbar ist und sich schnell verbreitet. Wegen der hohen Sterblichkeitsrate sind die Pocken als eine sehr schwere Erkrankung anzusehen. Außerdem hinterlassen sie Narben, die das ganze Leben über sichtbar bleiben. Die Umgebung, in der sich der Kranke aufhält, ist mit Pockenviren angefüllt. Zur Ansteckung genügt es schon, wenn ein nicht Geimpfter eine derartig verseuchte Luft einatmet. 1967 starben noch zwei Millionen Menschen an dem Virus. Durch eine weltweite Impfkampagne wurde es 1977 endgültig ausgerottet.

Prof. Kurth: "Mit den Impfungen greifen wir natürlich sehr umfassend in die Immunabwehr ein, indem wir die Immunabwehr gegen bestimmte Erreger stimulieren. Ich halte die Impfstoffe, wenn man es so einmal formulieren möchte, für die erfolgreichsten Medikamente, die wir überhaupt kennen, auch von der Kosten-Nutzen-Analyse außerordentlich positiv zu bewerten. Und es ist in der Tat auf der Habenseite gelungen, Impfstoffe zu entwickeln gegen Kinderkrankheiten, gegen Volkskrankheiten, die entscheidend dazu beigetragen haben, dass wir heute eine Lebenserwartung haben, wie sie nun mal ist, nämlich extrem hoch. Alles ein Phänomen dieses Jahrhunderts, unter anderem auch eine Konsequenz der erfolgreichen Impfung gegen Kinderkrankheiten, sodass wir jedes Jahr Hunderttausende von Toten letztlich verhindern können, die um die Jahrhundertwende noch gang und gäbe waren."

Pfeil nach obenDie USA im Jahre 1954. Der Mediziner Jonas Edward Salk hat den ersten Impfstoff gegen die Kinderlähmung entwickelt. Im ganzen Land werden Hunderttausende von Kindern mit abgetöteten Polio-Viren geimpft. Die Wochenschau verbreitet Optimismus. Schließlich ist es nur ein kleiner Stich mit großer Wirkung, und das nehmen junge Amerikaner mutig hin.


Die Reihenimpfung erwies sich als echter Erfolg. Statt der unbeliebten Spritze konnte man im Deutschland der Sechzigerjahre schon die angenehme Schluckimpfung anpreisen. Der einprägsame Slogan "Schluckimpfung ist süß, Kinderlähmung ist grausam" warb für die neue Impfmethode. Sie war eine Weiterentwicklung des amerikanischen Mediziners Albert Sabin. Er verwendete keine toten, sondern abgeschwächte Lebendviren, die längeren Impfschutz versprachen. Mit dem Impfstoff wurden zwar auch mögliche Risiken geschluckt. Doch Impfmüdigkeit war damals kein Thema.


Prof. Kurth: "Das Problem, das wir heute haben, ist, dass die jungen Eltern mit ihren kleinen Kindern viele dieser Infektionskrankheiten, die früher bedeutsam in unserem Land waren, ja gar nicht mehr kennen. Nehmen wir nur mal die Kinderlähmung. Als ich zur Schule ging, gab's immer noch ein paar hinkende Kinder in der Schule, die einem drastisch vor Augen führten, dass die Impfung gegen Kinderlähmung notwendig ist. Das sieht man ja seit Jahrzehnten nicht mehr. Also ist man auch eher geneigt, als junges Elternpaar seine Kinder nicht impfen zu lassen. Man muss dann auch unterscheiden je nach Erreger, wo die kritische Grenze ist, wo für die Bevölkerung im Allgemeinen eine große Gefährdung auftritt, wenn man sich nicht impfen lässt. Bei Viren zum Beispiel, die durch die Atemluft, durch Aerosole, durch Tröpfcheninfektion also, übertragen werden, liegt die Grenze bei ungefähr 80 - 85%. Wenn der Impfschutz in der Bevölkerung abfällt, darunter abfällt, dann muss man damit rechnen, dass es früher oder später zu einer kleinen oder manchmal auch größeren Epidemie kommt, und das kann man weltweit immer mal wieder beobachten. Also, das Gefahrenpotential ist da, und wir sind gehalten, immer wieder durch Aufklärung dieser Impfmüdigkeit entgegenzuwirken."

Anschauungsmaterial aus den Sechzigerjahren. Die Krankheitszeichen der Polyomyelitis, wie die Kinderlähmung in der Fachsprache heißt. Vor allem Kinder von fünf bis zehn Jahren sind gefährdet. Das Virus greift Nervenzellen an und verursacht Lähmungserscheinungen. War das Atemzentrum betroffen, mussten die Patienten mithilfe der "Eisernen Lunge" künstlich beatmet werden. Dank der Impfung ist das Polio - Virus mittlerweile fast völlig zurückgedrängt. Aber es findet gelegentlich neue Opfer.

Pfeil nach obenAn der Seite seiner Frau, Prof. Karl Wegscheider. Er war als Kind nicht geimpft worden und zog sich vor Jahren eine Polioinfektion zu.

Prof. Wegscheider: "Ich war eingeladen zur Taufe des Kindes von Freunden. Das Kind war zu dem Zeitpunkt ungefähr vier bis fünf Monate alt. Und ich habe das Kind auf dem Arm gehabt, habe beim Wickeln geholfen und hab es bei der Taufe getragen. Und dabei muss ich in Kontakt gekommen sein mit den Ausscheidungen des Kindes, mit dem Stuhl bzw. mit der Spucke, dass ich mich mit den Viren infiziert habe."

Das Kind war ungefähr drei bis vier Wochen vorher mit der Schluckimpfung gegen Kinderlähmung geimpft worden.

Prof. Kurth: "Die Schluckimpfung mit lebenden abgeschwächten Polioviren, also Viren, die Kinderlähmung verursachen, wurde ja Anfang der 60er Jahre eingeführt, wo es noch keine echte Molekularbiologie gab. Heute wissen wir, diese Viren sind abgeschwächt, aber innerhalb der einen Passage durch den Darm des Babys mutiert eine Reihe dieser Viren zurück zum sogenannten Wildvirus, wird also bösartiger, und das Virus landet in der Toilettenschüssel oder in der Windel des Impflings. Und die Nebenwirkungsfälle, die uns in der Tat da Sorgen machen, aber in der Frequenz von eins zu einer Million, dies sind Leute aus dem Haushalt, aus der Familie, die sich über die Toilette dann infizieren. Und das kann vorkommen, aber kommt im Lande höchstens ein bis zweimal im Jahr vor."

Wenn das Risiko einer Polioinfektion heute auch gering ist, so hat sie für den Betroffenen fast immer einschneidende Folgen.


Prof. Wegscheider: "Ich habe eine relativ dramatische akute Erkrankung durchgemacht, habe sehr hohes Fieber bekommen, einen sehr starken Lähmungsschub, der ungefähr zehn Tage anhielt und konnte auf dem Höhepunkt der Krankheit nur noch den Kopf und die rechte Hand bewegen. Und dann ist im Laufe der Jahre durch viel Krankengymnastik die Situation wieder besser geworden. Es sind Restfunktionen zurückgekommen, haben sich wieder gebessert, aber es ist ein erheblicher Schaden geblieben. Ich kann mich zum Beispiel nicht alleine im Bett drehen, ich muss gelagert werden, ich brauche praktisch für alle Verrichtungen des Tages fremde Hilfe, muss also rund um die Uhr betreut werden, und wenn ich das Haus verlasse, komme ich im Grunde keine zwei Meter weit, ohne dass einer hilft. Das hat natürlich auch meinen Arbeitsalltag sehr stark verändert. Es musste alles umgebaut werden, das Haus musste umgebaut werden. Und ich kann heute eigentlich nur arbeiten, weil mir alle diese technischen wie menschlichen Hilfen zur Verfügung gestellt werden. Ich kann meine Hobbys nicht mehr ausüben, ich kann nicht Ski fahren, ich kann nicht mehr fotografieren, weil ich eine so schwere Kamera nicht mehr halten kann, und dadurch bin ich gezwungen, meinen Lebenskreis auf das zu beschränken, was für mich technisch erreichbar ist."

Prof. Wegscheider hält Vorlesungen an der Universität und ist auf Mobilität angewiesen. Jede Reise macht erhebliche Umstände, und zahlreich sind die Hürden, die sich ihm als Behinderten in den Weg stellen.


Prof. Wegscheider war sich eines möglichen Infektionsrisikos nicht bewusst, und er ist kein Einzelfall. Selbst Personen, die vor Jahren geimpft wurden, vergessen längst fällige Auffrischungsimpfungen. Immer weniger Kinder haben einen ausreichenden Impfschutz. Viele Eltern verzichten darauf, aus Sorge vor Nebenwirkungen oder in der trügerischen Hoffnung, das Immunsystem werde sich schon selbst helfen.


Impfungen bieten zwar keinen hundertprozentigen Schutz, auch Impfschäden kommen gelegentlich vor. Aber staatliche Stellen wie das Paul-Ehrlich-Institut in Deutschland halten diese Risiken so klein wie möglich und lassen Impfstoffe erst nach eingehender Prüfung zu. Allen Meldungen über etwaige Nebenwirkungen wird sofort nachgegangen. Damit ist gewährleistet, dass die einfachste und wirksamste Waffe gegen gefährliche Krankheitserreger auch die sicherste bleibt.

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